Der Mann mit dem Fagott       25 Jahre Leben mit Lupus

Udo Jürgens, 2011


Vollständiger Text mit Hyperlinks zu den Songs, Schauspielern und Spielorten


Udo Jürgens: Von Zeit zu Zeit werf' ich den Blick auf meinen bunten Weg zurück, auf das, was war, und dabei wird mir klar, ich würde es wieder tun. Die Berg- und Talfahrt durch die Zeit, selbst alles das, was ich bereut, an dem ich hing, und das in Brüche ging, ich würde es wieder tun.

Tourmanager Alex [Gunther Gillian]: Entschuldige bitte, Udo, aber da draußen ist das absolute Verkehrschaos. Ich denke, es wäre besser, wenn wir noch zehn Minuten warten, und dann können wir los.

Udo Jürgens: Kein Problem.

Tourmanager Alex: Ach ja, da hat jemand für die angerufen, aus Moskau...? Ein Herr...? schieß mich tot...? wegen irgend so einer Bronzestatue...? Ja, sie stellt einen Mann mit einem Fagott dar. Klang irgendwie sonderbar.

Udo Jürgens: Zeig mal her.

Tourmanager Alex: Ich bin gleich wieder bei dir.

- - -

Tourmanager Alex: Alles in Ordnung mit dir?

Udo Jürgens: Ja, alles ok. Nur dieser, dieser Anruf aus Moskau - hat der Mann noch irgend etwas gesagt?

Tourmanager Alex: Nein, nichts, wieso?

Udo Jürgens: Dieser Mann mit dem Fagott - er ist der Grund, weswegen mein Großvater ausgewandert ist, von Bremen nach Moskau, als Zwanzigjähriger.

Tourmanager Alex: Dein Großvater ist ausgewandert?

Udo Jürgens: Wegen eines Fagottspielers.



Weihnachtsmarkt Bremen 1891


Konrad: Grüß dich, Heinrich!

Heinrich Bockelmann [Christian Berkel]: Konrad!

Konrad: Ganz allein hier? Wir haben uns ja seit dem Abschluss nicht mehr gesehen! Hast Du irgendwas angefangen, eine Gesellenstelle oder?

Heinrich Bockelmann: Jetzt fragst Du schon wie mein Vater - nein, ich habe noch nichts angefangen, noch nicht. Aber jetzt, jetzt werde ich was anfangen. Laß' uns darauf anstoßen!

Konrad: Ja und, sag' schon!

Heinrich Bockelmann: Ich werde nach Russland gehen.

Konrad: Ha ha, um Himmels willen, Heinrich, auswandern? Und nach Russland?

Heinrich Bockelmann: Ich werd' was machen aus meinem Leben, aber das wird nicht hier sein, und auch nicht in Amerika. Obwohl mein Vater als Kapitän zur See seit Jahren zwischen Bremerhaven und New York pendelt. Aber ich werd' meinen eigenen Weg gehen. Diese Melodie da vorne, die hat gerade mein Leben verändert. Diese wunderschöne russische Melodie...

Konrad: Ha ha ha...? Ja, natürlich. Und deshalb wirst Du jetzt nach Russland gehen. Mein Freund, ich glaub', Du hast zu tief ins Glas geschaut!

Heinrich Bockelmann: Ich weiß, es klingt seltsam. Für mich war es wie ein Zeichen!

Konrad: Heinrich - Russland ist ein schwieriges Land! Man kann da gewinnen oder untergehen.



Moskau 1912, 20 Jahre später


Heinrich Bockelmann: Mein lieber Wasja, meinst du, ich könnte es nochmal versuchen?

Wasja [Maxim Kovalevski]: Ein Versuch wäre es wert, барин.

Heinrich Bockelmann: Gut!

Heinrich Bockelmann: Ich finde, es geht schon sehr viel besser!

Wasja: Барин, wir müssen noch Ihre werte Gattin abholen!

Heinrich Bockelmann: Sag's ruhig, Wasja. Du möchtest lieber wieder selber fahren, haha. Wunderbar. Und jetzt der nächste Gang.

Wasja: Барин, Vorsicht!

Heinrich Bockelmann: Ist dir etwas passiert, guter Mann?

Polizist: Was fällt dir ein, dem барин in den Wagen zu laufen?

Passant: Hängt sie doch alle auf, die reichen Ausbeuter!

Heinrich Bockelmann: Bleiben Sie ganz ruhig! Sorgen Sie lieber dafür, dass hier nichts wegkommt! Komm. Geht's? Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?

Polizist: Kümmert euch nicht um ihn.

Heinrich Bockelmann: Hier. Es tut mir Leid. Ich möchte dir den Schaden ersetzen, den ich verursacht habe. Bitte.

Mann: Спасибо, барин.

- - -

Heinrich Bockelmann: Ich konnte ihm einfach nicht ausweichen. Außerdem habe ich das Gefühl, das irgendwas mit der Schaltung nicht stimmt.

Anna Bockelmann [Melika Fourotan]: Ich denke, Du solltest Deine Fahrübungen zurückstellen. Erstens wärst Du dann vielleicht doch pünktlich und zweitens würdest Du nicht immer harmlose Bauern umfahren.

Heinrich Bockelmann: Immer.

Anna Bockelmann: Ich habe wie üblich den Tisch dort hinten reservieren lassen.

Heinrich Bockelmann: Also ich werd' hier nicht in der Schlange stehen. - Pass auf. Jetzt könnt ihr was fürs Leben lernen. - Setzt Euch. Und merkt Euch eines: Es gibt Situationen im Leben, da geht man geradeaus. Macht keine Umwege. Egal, was die anderen von einem denken.

Diener: Bonjour, Monsieur. Wie geht es Ihnen?

Heinrich Bockelmann: Vielen Dank. Wenn ich dann um die Karte bitten dürfte.

Diener: Sehr wohl.

Anna Bockelmann: Ich gehöre zu dem Herrn dort hinten.

- - -

Frau: Was ist denn mit seinen Schuhen?

Heinrich Bockelmann: Bring' mir bitte neue Schuhe. Ich hab' nasse Füße.

Kropotkin [Mark Zak]: Ja, барин.

Heinrich Bockelmann: Neuigkeiten?

Robert Vogel [Mirko Lang]: Die Leute beginnen ihr Geld abzuheben.

Heinrich Bockelmann: Warum? Weil wir eine deutsch geführte Bank sind?

Werner Vogel [Alexander Lutz]: Die Zarenfamilie vertraut Ihnen ihr Geld an. Wenn aber das Vertr..., das Vertrauen der kleineren Anleger zu unserem Bankhaus verlorengeht...

Robert Vogel: Welch' Wunder bei der deutschen Großmannssucht? Kaiser Wilhelm schwingt sich ja beinahe zum Herrscher Europas auf. Wenn ich Russe wäre, würde ich mein Geld auch von einer deutsch geführten Bank abziehen.

Werner Vogel: Du bist aber Deutscher, verehrter Bruder.

Robert Vogel: Noch, verehrter Bruder.

Heinrich Bockelmann: Sonst noch Hiobsbotschaften?

Robert Vogel: Baron von Thalen lässt ausrichten, dass er und seine Familie sich schon sehr auf das Fest bei Ihnen freuen.

Heinrich Bockelmann: Nein. Das sind doch wenigstens mal gute Nachrichten!

- - -

Baron von Thalen [Andreas Lust]: Zar Nikolai ist doch unfähig zu regieren. Hat doch den Kontakt zum eigenen Volk längst verloren! Da wäre ein Konflikt mit dem Deutschen Reich höchst willkommen. Sehen Sie sich das Elend, die Armut des einfachen russischen Volkes an.

Heinrich Bockelmann: Ja. Mit dem armen Volk sympathisieren und Champagner trinken.

Baron von Thalen: Sie können gerne nachschenken, mein Lieber.

Werner Vogel: Eines steht jedenfalls fest: Nikolai betreibt eine nie dagewesene Vetternwirtschaft. Besetzt er die wichtigen Ämter mit den kompetenten Männern? Nein. Und dabei wäre er dringend auf den deutschen Sachverstand in der Wirtschaft angewiesen.

Robert Vogel: Vielleicht ist es doch anmaßend, als Deutscher über die politischen Verhältnisse dieses Landes urteilen zu wollen.

Menschenmenge: Nieder mit dem Deutschen, nieder mit dem Juden. Nieder mit dem Deutschen, nieder mit dem Juden.

Mann: Da sind sie! Da sind sie, die Deutschen. Ausbeuter! Ausbeuter! Ausbeuter!

Baron von Thalen: Nationalistischer Pöbel. Ein äußerer Feind schafft innere Einheit.

Heinrich Bockelmann: Aber der Zar unternimmt nichts dagegnen, mein lieber Baron. Die Frage ist nur, ob er sich da nicht verschätzt. Ein hungerndes Volk wird sich irgendwann erheben, und dann werden wir alle hinweggefegt. Diese Kleinigkeit wird von Nikolai leider ignoriert.

Menschenmenge: Ausbeuter! Ausbeuter! Ausbeuter!

Heinrich Bockelmann: Zum Wohl!

Robert Vogel: Auf das Land!

Werner Vogel: Auf Deutschland!

Baron von Thalen: Auf uns!

Erwin Bockelmann: Wer ist denn da verliebt?

Baronin von Thalen [Nicole Beutler]: Meine kleine Vera hat sich so sehr auf das Fest bei Ihnen gefreut. Sie lässt dafür sogar ihre Balettstunde heute ausfallen.

Anna Bockelmann: Nun, Baronin, ich glaube, die Freude wird von unserem Rudi mehr als geteilt.

Baron von Thalen: Werte Damen!

Anna Bockelmann: Und? Habt ihr die Probleme der Welt gelöst?

Heinrich Bockelmann: Wir schon! Die beiden dahinten wohl noch nicht!

Anna Bockelmann: Du schuldest mir noch einen Tanz!

Heinrich Bockelmann: Anna vereint beides. Sie hat deutsches und russisches Blut in ihren Adern. Ist das nicht die beste Lösung, lieber Baron? Auf jeden Fall die schönste.

Heinrich Bockelmann: Wann erfahre ich endlich, was in dieser Kiste ist?

Anna Bockelmann: Lass' Dich überraschen!

- - -

Anna Bockelmann: Manchmal denke ich, sie sollen nie erwachsen werden. Die Welt ist so unsicher geworden. Heinrich, denkst du, sie werden ein gutes Leben haben? Werden sie glücklich sein, werden sie hier noch eine Heimat haben?

Heinrich Bockelmann: Das werden sie. Und er - oder sie auch. Das Leben hält noch wunderbare Dinge für sie bereit.

Anna Bockelmann: Versprichst Du mir das?

Heinrich Bockelmann: Das kann niemand versprechen, nicht mal ich. Apropos wunderbare Dinge - was ist eigentlich in dieser Holzkiste?

Anna Bockelmann: Das ist eine Überraschung!

Rudi Bockelmann [Joël Eisenblätter]: Mama!

Anna Bockelmann: Schschsch, Rudi, schlaf.

Heinrich Bockelmann: Ja. Ist schon ganz spät. Schau mal: Du hast noch die Zauberkraft - puste! Fester! Fester, Rudjascha! Puste! Siehst du! Jetzt schlaf' schön weiter.

Anna Bockelmann: Mach' auf!

Heinrich Bockelmann: Was ist da drin? Das gibt es doch nicht! Das gibt's überhaupt nicht! Wo hast Du ihn her?

Anna Bockelmann: Ich habe ihn aus einem Antiquitätenladen in der Tverskaja. Gefällt er dir?

Heinrich Bockelmann: Ja. Weißt du, manchmal frage ich mich, ob solche Dinge seltsame Zufälle sind oder Fügungen, Spiel des Schicksals. Der Musiker damals auf dem Weihnachtsmarkt in Bremen, der hat genau so ausgesehen!

Anna Bockelmann: Ja.

Heinrich Bockelmann: Als wäre diese Figur sein Ebenbild!



1. August 1914


Heinrich Bockelmann: Haben wir eine Übersicht, wieviel Geld bereits abgezogen wurde?

Werner Vogel: Noch nicht. Wissen Sie überhaupt, dass ich seit gestern eigentlich entlassen bin?

Heinrich Bockelmann: Sind Sie jetzt alle wahnsinnig geworden?

Robert Vogel: Es gibt eine offizielle Weisung, wonach alle deutschen Angestellten ihre Tätigkeit sofort einzustellen haben.

Werner Vogel: Leider betrifft das auch mich. Mein Bruder war da schlauer, er hatte die russische Staatsbürgerschaft angenommen. Aber selbstverständlich gilt das nur offiziell, ich bleibe natürlich bei Ihnen, solange Sie mich brauchen.

Heinrich Bockelmann: Soweit kommt es noch! Dass die russische Regierung mir vorschreibt, mit wem ich zusammenzuarbeiten und wen ich zu entlassen habe! Noch ist das meine Bank! Noch entscheide ich, wer bei mir angestellt ist und wer entlassen wird! - Gut. Dann gehen wir jetzt zur Versammlung, und schauen, ob wir das Ruder noch mal rumreißen können. Immerhin hat die Zarenfamilie ihr Vermögen noch nicht abgezogen, was immer das zu bedeuten hat. - Herein!

Wasja: Sie hatten nach mir geschickt, барин.

Heinrich Bockelmann: Wasja, was sagen die Leute auf der Straße? Wird es Krieg geben?

Wasja: Ich weiß es nicht, барин.

Heinrich Bockelmann: Das ist kein gutes Zeichen. - Kommen Sie.

Vorsitzender: Meine Herren, der Moment ist dringlich! Diese Besprechung findet um einige Wochen zu spät statt. Vor wenigen Tagen wurde die deutsche Botschaft gestürmt! Wir müssen den Russen zeigen, dass sie das mit uns nicht machen können! Wer war es, wer war es denn, der die Wirtschaft in diesem Land aufgebaut hat, das waren doch wir Deutschen! Was wäre denn dieses Land ohne uns, ein armseliges, hoffnungsloses, rückständiges Reich!

Werner Vogel: Sehr richtig, bravo, bravo!

Robert Vogel: Bei allem Respekt, Herr Vorsitzender. Sie fragen, was das Land ohne uns wäre? Ich aber frage: Was wären wir denn ohne dieses Land?

Werner Vogel: Robert, setz' dich.

Robert Vogel: Es hat uns erst zu dem gemacht, was wir sind. Wir müssen bei aller Liebe zu unseren Vorfahren einsehen, es ist eine Unverschämtheit, was Deutschland sich hier anmaßt! Warum hat Kaiser Wilhelm Österreich-Ungarn Unterstützung gegen Serbien zugesagt? Weil er nur einen Grund dafür sucht, in den Krieg zu ziehen. Deutschland will Krieg! Deutschland will die Vormachtstellung in Mitteleuropa!

Werner Vogel: Jetzt reicht's! Du bist nicht mehr mein Bruder!

Vorsitzender: Meine Herren! Soeben hat Deutschland Russland den Krieg erklärt. Wir haben Krieg.

(Gemurmel) Das ist eine Katastrophe, für beide!

Heinrich Bockelmann: Hallo! Hören Sie, hallo! Jetzt können Sie niemanden erreichen, überlastete Leitungen.

Baron von Thalen: Fahren Sie nach hause, mein Freund, ich werde das jetzt auch tun. Sofern man als Deutscher noch nach hause kommt.

Robert Vogel: Werner, was willst du?

Werner Vogel: Das kann doch nicht wahr sein, was Du vorhin alles gesagt hast!

Robert Vogel: Es ist alles gesagt.

Werner Vogel: Denk' doch noch mal nach!

Robert Vogel: Denk' Du nach, Werner, auf welcher Seite Du stehen willst! Ich werde für Russland kämpfen! Meinem neuen Vaterland meine Ehre erweisen!

Werner Vogel: Robert, wenn wir uns im Feld gegenüberstehen, sind wir auf Eid und Ehre verpflichtet, einander zu töten! Ist Dir das bewusst?

Heinrich Bockelmann: Seid ihr verrückt? Ihr seid Brüder! So könnt ihr euch nicht trennen! Gebt euch die Hand! Gebt euch die Hand!

- - -

Heinrich Bockelmann: Warte hier.

Mann: Da, ein Deutscher! Ganz bestimmt ein Deutscher! Los, den holen wir uns!

Heinrich Bockelmann: Schnell zurück!

- - -

Anna Bockelmann: Nimm mal! Fällt dir was auf?

Heinrich Bockelmann: Nein, was ist denn damit?

Anna Bockelmann: Ich habe unseren Schmuck einbacken lassen.

Heinrich Bockelmann: Sehr gut. Das ist eine sehr gute Idee.

Heinrich Bockelmann: Anna! Du musst dich noch umziehen. Wir dürfen nicht wie Deutsche aussehen. Die Schuberts sind neulich auf offener Straße gelyncht worden. Es wird nichts passieren, komm.

Nastasja [Lisa Brühlmann]: Du darfst Russland nicht vergessen, ja? Auch wenn jetzt schreckliche Dinge passieren, es ist ein gutes Land mit einer großen Seele! Und es ist doch auch Deine Heimat. Du wirst wiederkommen, das weiß ich, und ich werde dasein.

Rudi Bockelmann: Sie hat geweint! Sie hat geweint!

Anna Bockelmann: Warum hast Du denn Deine Schuhe auf! Du musst sie ordentlich zumachen, sonst fällst Du noch hin! - Das wird doch viel zu warm, warum hast Du keine kurzen Hosen an so wie Deine Brüder auch!

Erwin Bockelmann: Kurze Hosen sind lächerlich.

Anna Bockelmann: Na warte mal ab, bis Dein Herr Papa das hört. Wo ist denn jetzt Rudi? Rudi!

Rudi Bockelmann: Ich komme wieder.

- - -

Heinrich Bockelmann: Kinder! Kinder, kommt nochmal zurück!

Kontrolleur: Sie ist Russin! Keine Ausreise. Keine Ausreise, treten Sie zur Seite.

Anna Bockelmann: Ja, aber...

Kontrolleur: Treten Sie zur Seite!

Heinrich Bockelmann: Warte hier auf mich.

Chef der Bahnhofspolizei [Jewgenij Sitochin]: Was gaffst du?

Heinrich Bockelmann: Ich bin ein treuer Freund Russlands, und ein enger Vertrauter von Wladimir Fjodorowitsch Schukowski, dem stellvertretenden Innenminister dieses Landes. Oder auch von Generalmajor Ignatsy Solodjarow, dem Polizeichef dieser Stadt. Vielleicht können Sie mir helfen, ein Problem zu lösen. - Meine Frau ist Russin. In meinem Herzen sind wir alle Russen, aber es ist Krieg. Ich habe fünf Kinder. Die Umstände zwingen uns, zu gehen.

Chef der Bahnhofspolizei: Was wollen Sie von mir?

Heinrich Bockelmann: Meine Frau hat einen russischen Pass. Sie darf das Land nicht verlassen. Ich würde mich sehr erkenntlich zeigen.

Chef der Bahnhofspolizei: Sie werden sich sehr erkenntlich zeigen. - Sie wollen mich bestechen.

Heinrich Bockelmann: Ich bitte nur um Ihre Hilfe, und Hilfe ist etwas wert.

Chef der Bahnhofspolizei: Wie alt sind Sie?

Heinrich Bockelmann: 44.

Chef der Bahnhofspolizei: Es ist Krieg. Und Sie sind im wehrfähigen Alter. Aber Ihrer Familie kann ich helfen. Ihnen nicht. Allerdings ist diese Art von Hilfe mehr wert als das.

Heinrich Bockelmann: Sie ist aus purem Gold. Diese Uhr ist mehr wert als das Jahresgehalt eines verdienten russischen Beamten.

Chef der Bahnhofspolizei: Wenn ich diese Uhr verkaufe, wird mir niemand das Jahresgehalt eines verdienten russischen Beamten dafür bezahlen können.

Heinrich Bockelmann: Sie haben recht. Es wäre für uns beide ein schlechtes Geschäft. Diese Uhr hat mir ein Leben lang Glück gebracht. Sie soll mir auch jetzt Glück bringen. Ich gebe Sie Ihnen zur Verwahrung. Und ich werde sie wieder auslösen, zu ihrem vollen Wert.

Chef der Bahnhofspolizei: Da, nehmen Sie.

Anna Bockelmann: Was passiert jetzt?

Heinrich Bockelmann: Mach' dir keine Sorgen.

Anna Bockelmann: Wie hast Du das gemacht?

Kontrolleur: Давай!

Heinrich Bockelmann: Sie lassen keine Deutschen im wehrfähigen Alter ausreisen. Zumindest im Moment nicht.

Anna Bockelmann: Aber dann bleiben wir doch alle zusammen!

Nastasja: Kinder! Bleibt bei mir!

Anna Bockelmann: Rudi, Erwin!

Heinrich Bockelmann: Anna, bitte, bitte! Denk' an die Kinder! Bring' sie in Sicherheit! Ich find' schon einen Weg!

Anna Bockelmann: Nein!

Kontrolleur: Na los, wegtreten! Machen Sie den Platz leer!

Rudi Bockelmann: Mama!

Polizist: Heinrich Bockelmann? Sie sind verhaftet! Komm!



Wjatka Ural, September 1914


Wachmann: Eine Reihe bilden, los los!

Gefangener: Wilhelm, mach' jetzt! Du hast es doch gehört!

Wachmann: Давай,давай! Wegtreten! Los, los, vorwärts, vorwärts, marsch! Schneller! Los! Давай!

Heinrich Bockelmann: Baron! Baron!

Wachmann: Eine Reihe! Ich hab' gesagt, eine Reihe!

Wachmann: Augen nach vorne! Ruhe! Name!

Heinrich Bockelmann: Bockelmann.

Wachmann: Achtung, stillgestanden! Achtung!

Lagerkommandant [Jurij Rosstalnyj]: Meine Herren Gefangenen! Seit langem wollte ich mir Ihre Gesichter, Ihre Augen ansehen. Wollte sehen, wie Sie aussehen, diese Reichen und Mächtigen, wenn sie Angst haben. Nun ist die Macht auf meiner Seite. Aber niemand von uns ist aus freien Stücken hier, Sie nicht und ich auch nicht. Ich erfülle hier meine Pflicht, weil es Menschen wie Sie gibt: Deutsche, die unserem Land schaden und vor denen wir uns schützen müssen. Es ist auch für mich kein schönes Leben und es wird ebensowenig für Sie ein schönes Leben sein. Wir sind hier ein Etappengefängnis. Sie werden also unsere Gastfreundschaft nicht allzulange genießen. Ob Sie überleben, wird davon abhängen, wie gut wir uns arrangieren werden. Wie ich höre, ist ein berühmter Bankier aus Moskau unter Ihnen. Also, machen wir es kurz. Wer ist nun der Reichste von Ihnen?

Heinrich Bockelmann: Ich weiß nicht, ob ich der Reichste bin, aber durch meinen Beruf hatte ich bestimmt von allen hier am meisten mit Geld zu tun.

Lagerkommandant: Heinrich Bockelmann. So sehen sie also aus, die Reichen.

- - -

Wachmann: Du, du, du. Drehen. Darein.

Heinrich Bockelmann: Baron!

Baron von Thalen: Es ist mir eine Freude, Sie hier wohlauf zu sehen! - Mein Gott.

Heinrich Bockelmann: Und Ihre Familie?

Baron von Thalen: Sie sind noch in Moskau. - Bisschen überfüllt hier!

Heinrich Bockelmann: Wie ist es Ihnen gelungen, sich hierher verlegen zu lassen?

Baron von Thalen: Ich hatte noch einen Ring mit Familienwappen. Ob wir sie je wiedersehen werden?



Hamburg 1955


Rudi Bockelmann: Erwin, ich wünschte, Vater hätte diesen Tag noch miterleben dürfen.

Erwin Bockelmann [Herbert Knaup]: Es war ihm leider nicht vergönnt. Einen kleinen Port, Bruder? - Wann beginnt Udo denn eine Ausbildung?

Rudi Bockelmann: Das wird man sehen.

Erwin Bockelmann: Hat er denn Talente?

Rudi Bockelmann: Naja, die Musik bedeutet ihm anscheinend schon sehr viel.

Erwin Bockelmann: Musik. Rudi, wie lange willst Du denn dabei noch zusehen. Er hat doch schon die Schule abgebrochen. Wenn Du willst, rede ich mal ein ernstes Wort mit ihm.

Rudi Bockelmann: Lieber Erwin, vor einiger Zeit habe ich scherzhaft gesagt, wenn Du so weitermachst, dann schaffst Du es noch zum Bundespräsidenten. Jetzt hat es leider nur zum Vorsitzenden des Welt-Öl-Kongresses und zum Vorstandsvorsitzenden von BP gereicht. Unser Vater hat uns dazu erzogen, die Macht, die uns in die Hände gegeben ist, mit Verantwortung auszuüben und geradeaus zu gehen im Leben. Deine Geradlinigkeit und Deine Beharrlichkeit hast Du ja schon als Kind unter Beweis gestellt, als Du dich geweigert hast, in, wie Du sagtest, lächerlich kurzen Hosen das Haus zu verlassen.

Erwin Bockelmann: Jaja, Mama.

Rudi Bockelmann: Du hast diesen kleinen Machtkampf mit Vater damals gewonnen. Er wäre jedenfalls heute sehr stolz auf dich. Auf Erwin, unser Familienoberhaupt! Den wahren Nachfolger unseres wunderbaren Vaters Heinrich.

- - -

Rudi Bockelmann: Udo? Hat Onkel Erwin schon mit dir gesprochen?

Udo Jürgens [David Rott]: Nein, wieso? Wollte er das denn?

Rudi Bockelmann: Keine Sorge. Er wollte dir nur einen Vorschlag machen. Du wirst ja jetzt bald großjährig. Und ich möchte dir etwas schenken, das mir sehr am Herzen liegt. Du weißt schon. Sie hat mich immer an die schöne Zeiten in Moskau erinnert, aber ich denke, ich muss mir eingestehen, dass ich meine erste Heimat nicht wiedersehen werde. Udo - geh' Deinen Weg. So hat's Dein Großvater auch gemacht.

Udo Jürgens: Papa, bist Du sicher, dass Du sie nicht behalten willst?

Rudi Bockelmann: Pack' es aus an Deinem Geburtstag. Ich glaube, es ist der richtige Zeitpunkt.

Udo Jürgens: Danke, Papa.

Erwin Bockelmann: Lieber Udo...

Udo Jürgens: Onkel Erwin! Darf ich dir auch noch einmal ganz herzlich gratulieren!

Erwin Bockelmann: Danke. Hör' zu, mein Junge, ich wollte kurz etwas mit dir besprechen. Du weißt, es ist mir wichtig, dass jeder in der Familie seinen Platz im Leben findet. Du suchst in gewisser Weise noch, das ist in Deinem Alter nicht unverständlich. Aber es muss auch irgendwann ein Ende haben. Immerhin bist Du bald großjährig. Zeit, erwachsen zu werden! Ich kann dir anbieten, bei mir in der BP anzufangen. Ein Weltkonzern, mit allen Aufstiegschancen. Dein Bruder Joe ist ja schon bei mir. Er ist sehr zufrieden. Rede mit ihm! Du wirst sehen, das wird auch für dich das Richtige sein.

Udo Jürgens: Das ist natürlich ein großartiges Angebot, Onkel Erwin. Nur, ich muss erst einmal darüber nachdenken.

Erwin Bockelmann: Natürlich. Ich höre, Du machst ganz gerne Tanzmusik? Das ist natürlich sehr schön, aber ein richtiger Beruf ist es natürlich nicht! Oder willst Du am Ende als so ein Tingeltangel-Musiker von Almosen und Trinkgeldern leben?



Salzburg


Udo Jürgens: Don't change your hair for me, not if you care for me, stay with me valentine, stay, each day's valentine's day. [Richard Rodgers, Lorenz Hart: Babes in Arms, 1937]

Gitta [Valerie Niehaus]: Das ist Dir ja auch schon passiert, das ist Dir ja ganz genauso schon passiert!

Buddy [Jakob Seeböck]: Udo! Wir machen mal Pause, gell.

Udo Jürgens: Ich hoffe, Sie weinen nicht, weil wir so schlecht gespielt haben. Möchten Sie?

Gitta: Ach, Danke.

Udo Jürgens: Ein Taschentuch habe ich leider nicht.

Gitta: Ist eh' blöd, ich hör' gleich auf.

Udo Jürgens: Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?

Gitta: Nein. Doch, Sie können das Theater schließen, ha.

Udo Jürgens: Oh, Sie arbeiten am Theater?

Gitta: Ja. Ich bin Schauspielerin, leider.

Udo Jürgens: Also kein gutes Thema?

Gitta: Nein.

Udo Jürgens: Aber eigentlich ein toller Beruf.

Gitta: Ja. Ja. Ich hab' einfach mehr und mehr das Gefühl, dass es nicht darum geht, was man kann, um Talent, sondern dass es darum geht, mit wem man besonders gut kann... Deswegen stehe ich hier und heule. Und das gehört auch zu dem "schönen" Beruf dazu. - Tut gut, Ihre Musik zu hören.

Udo Jürgens: Ach, sind Sie deshalb hinaus gegangen? Dann können wir ja eigentlich wieder hineingehen, nicht?

Gitta: Ja. Da können wir jetzt eigentlich wieder hineingehen.

Udo Jürgens: Gut, bitte.

- - -

Udo Jürgens: There will never ever be another you. [Mack Gordon, Harry Warren, 1942] - Thank you.

Gitta: Ich liebe so eine Art Musik. Das ist, als wenn man schwebt, kennen Sie das?

Buddy: Das ist ja Wahnsinn!

Gitta: Natürlich kennen Sie das, Sie spielen ja sowas.

Udo Jürgens: Stimmt. Ich spiele sowas.

Frau: Gitta, kommst du?

Gitta: Ja.

Buddy: Udo! Entschuldigung. Darf ich ihn kurz entführen? 1000 Schilling. Aus Deinem lächerlichen Trinkgeldteller, gegen den Du dich so gewehrt hast. Der Ami hat einen Tausender hineingelegt. Weißt Du, was wir jetzt machen? Wir fahren jetzt nach München und feiern in Deinen Geburtstag rein. Ramba zamba die ganze Nacht!

Frau: Gitta, was ist jetzt?

Udo Jürgens: Oder möchten Sie vielleicht mit uns nach München fahren?

Gitta: Was? Nein. Wie kommen Sie denn darauf?

Udo Jürgens: Wieso denn?

Gitta: Ich habe Proben morgen.

Udo Jürgens: Da sind Sie längst wieder da! Ich muss morgen abend auch wieder hiersein und spielen. Immerhin, München? Fahren mit Chauffeur? Wir haben sogar einen Radioapparat im Wagen?

Frau: Gitta, wir warten!

Udo Jürgens: Plus einer Geburtstagsfeier.

Get out from that kitchen and rattle those pots and pans, I said chake, rattle n'roll, I said chake, rattle n'roll, I said chake, rattle n'roll... [Big Joe Turner, 1954]

Klaus Behmel [Patrick Jahns]: Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff...

I said chake, rattle n'roll...

Udo Jürgens: Lässt Du die Hände am Lenkgrad bitte!

Gitta: Entschuldigung!

Udo Jürgens: Macht gar nichts, Sie können gerne weiterschlafen.

Buddy: Nicht weiterschlafen, weitersingen!

Gitta: Warum ist denn der Bassist nicht mitgekommen?

Udo Jürgens: Bruno? Ach der wollte sich 'n ruhigen Tag in Salzburg machen. Kuchenessen.

Gitta: Ihr seid ja eine lustige Truppe.

Udo Jürgens: Naja! Buddy da vorne ist eigentlich Kellner. Klaus studiert Chemie, bereitet sich gerade auf 'ne Klausur vor, und Bruno ist Versicherungsagent.

Gitta: Und Sie sind der einzige Berufsmusiker?

Udo Jürgens: Ja... sozusagen. Naja. Wo wollen wir eigentlich hingehen in München, wenn wir da sind? Was haltet Ihr von Studio 15? Kennen Sie das?

Gitta: M-m.

Udo Jürgens: Das ist ein Jazzclub.

Buddy: Ach, das ist ein Jazzclub. Das ist DER Jazzclub überhaupt!

- - -

Alle: 10 - 9 - 8 - 7 - 6 - 5 - 4 - 3 - 2- -1 - Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Gitta: Herzlichen Glückwunsch!

Udo Jürgens: Dankeschön!

Gitta: Darf man fragen, wie alt der Herr wird?

Udo Jürgens: Ja.

Gitta: Also...

Udo Jürgens: Ja, fragen Sie!

Gitta: Wie alt wird denn der Herr?

Udo Jürgens: 21. Großjährig!

Buddy: Obwohl er im Kino immer seinen Ausweis herzeigen muss!

Klaus Behmel: Ma, ist das toll hier!

Udo Jürgens: Jetzt stellt Euch vor, ich könnte da einfach mit einsteigen. Einfach mitspielen. Das wäre ein Geburtstag!

Gitta: Entschuldigung? - Sie sollen die nächste Pausenmusik spielen!

Udo Jürgens: Was?

Gitta: Und wenn Sie gut sind, können Sie 'ne Nummer mit der Band spielen. Was sagt man dazu?

Buddy: Gleich fällt Ihnen der Finger ab.

Musiker: Das war gar nicht schlecht.

Udo Jürgens: Danke.

Musiker: Wenn Sie Lust haben, können Sie bei der nächsten Nummer dabeisein.

Udo Jürgens: Gerne!

Musiker: Was würden Sie denn spielen wollen?

Udo Jürgens: There will never be another you, C-Dur, geht das?

Musiker: Dann in fünf Minuten hier.

Udo Jürgens: There will be some other nights like this and I'll be standing here with someone new, there will be other songs to sing, another fall, another spring, but there will never be another you. There will be other lips that I may kiss, but they won't thrill me like yours used to do, yes I may dream a million dreams, but how can they come true, if there will never ever be another you? [Mack Gordon, Harry Warren, 1942]

Musiker: Wenn Du mal wiederkommst, kannst Du gerne jederzeit mit einsteigen. Danke!

Buddy: Wenn das kein Geburtstag ist!

Udo Jürgens: Danke!

Gitta: Was für ein toller Abend!

Udo Jürgens: Ja, finde ich auch!

Gitta: Und was für eine tolle Vorstellung Sie gegeben haben!

Udo Jürgens: Ja, Sie haben mir halt Glück gebracht! Danke dass ich Sie kennengelernt habe und dass ich spielen durfte.

Buddy: Wollt ihr da übernachten? Was ist jetzt?

Udo Jürgens: Komm!

Buddy: Was hast Du denn da?

Udo Jürgens: Ein Geschenk. Die Uhr meines Großvaters.



Wjatka Ural 1915


Heinrich Bockelmann: Baron!

Baron von Thalen: Beim Klettern immer mit zwei Händen festhalten, das habe ich als Kind schon gelernt. - Ein Gläschen Champagner wäre mir lieber!

Heinrich Bockelmann: Sie werden uns in die Verbannung entlassen. Sie müssen. Dann ist es besser. Das hier ist doch nur ein Etappengefängnis. Sie haben alle Deutschen in die Verbannung entlassen, alle. Mit uns werden sie es genauso machen.

Baron von Thalen: Warum sind wir noch hier? Warum? Sie haben uns vergessen.



Ostern 1915


Wachmann: Stehenbleiben! An die Wand!

Lagerkommandant: Man verdächtigt Sie der Spionage, wussten Sie das?

Heinrich Bockelmann: Nein. Das muss ein Irrtum sein.

Lagerkommandant: Das wird sich herausstellen.

Heinrich Bockelmann: Sind wir deswegen noch hier? Baron von Thalen und ich?

Lagerkommandant: Sie wissen bestimmt, dass darauf die Todesstrafe steht.

Wachmann: Weitergehen!



Sommer 1915


Heinrich Bockelmann: In diesem Krieg wird's keine Sieger geben, nur Verlierer.

Baron von Thalen: Vielleicht ist das die Lehre, die die Menschen brauchen. Alle. Russen, Deutsche, Engländer, Franzosen. Es wird nie wieder so einen Krieg geben, nie wieder. Sollten die Russen gewinnen, werden sie Sie umbringen wegen Ihrer Spionagetätigkeit, und falls die Deutschen gewinnen, dann bringen sie Sie erst recht um als Verräter. Sie müssen hier raus, bevor es zu spät ist.

Heinrich Bockelmann: Flucht, wie kommen Sie darauf? Außerdem, ohne Sie würde ich doch sowieso nicht gehen.

Baron von Thalen: Ich werde hier sterben, ich weiß es. Sie wissen es auch.

Wachmann: Aufstehen, mitkommen! Aufstehen! Mitkommen! - So ran!

Lagerkommandant: Setzten Sie sich. Möchten Sie einen Tee? Können Sie sich vorstellen, eine größere Geldsumme zu beschaffen und damit sich selbst und allen hier zu helfen? Wir brauchen dringend Geld. Vom Gouvernement kommt nichts mehr. Wir können die Gefangenen nicht mehr ernähren. Es würde Ihr Schaden nicht sein.

Heinrich Bockelmann: Ich soll für das Gefängnis aufkommen, in dem ich eingekerkert bin?

Lagerkommandant: Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Lösungen. Auch hier, am Ende der Welt.

Heinrich Bockelmann: Sie müssten mich natürlich irgendwie nach Moskau fahren lassen. Anders kann ich einen größeren Betrag nicht beschaffen.

Lagerkommandant: Ja natürlich, das müsste ich. Ich werde Ihnen eine Reisegenehmigung nach Moskau ausstellen. Sechs Tage hin, sechs Tage zurück, zwei Tage in Moskau, das heißt, vierzehn Tage. Genau in zwei Wochen sind Sie wieder hier. Aber über eines müssen Sie sich im Klaren sein: Wenn Sie fliehen oder wenn Sie auch nur den Versuch unternehmen zu fliehen, sind Sie ein toter Mann.

Heinrich Bockelmann: Baron? Baron!



Moskau 2010


Udo Jürgens: Herr Kasajew?

Aljoscha Kasajev [Otto Tausig]: Da, mein Enkel! Sergej!

Udo Jürgens: Ich freue mich wirklich sehr.

Sergej Kasajev [Lenn Kudrjawizki]: Ich auch.

Aljoscha Kasajev: Wie ich dich letztes Mal gesehen, Du warst kleine Bub, vielleicht zehn Jahre - darf ich sagen Du?

Udo Jürgens: Natürlich, lieber Aljoscha. Sag' mal, Dein Enkel, der sieht genauso aus wie Du damals!

Aljoscha Kasajev: Nein, nicht ich gehabt Ziegenbart!

Sergej Kasajev: Mein Opa!

Aljoscha Kasajev: Der Mann mit dem Fagott, er wartet schon auf dich bei mir zuhause.

Udo Jürgens: Das ist schön.

Sergej Kasajev: War Ihr Flug gut?

Udo Jürgens: Sehr gut.

Sergej Kasajev: Schön.

Udo Jürgens: Wunderbar. Schön, hier zu sein!

Aljoscha Kasajev: Zum Flughafen wir sind gefahren mit Metro. Und jetzt, so elegant? Was ist geworden aus Euerm Hof? Ich habe oft gedacht daran. Für die Deutschen waren wir Zwangsarbeiter weniger wert als ein Stück Vieh! Aber Dein Papa, er hat gesprochen Russisch mit uns trotz Krieg. Ja, er hat gehabt eine russische Seele. Er war so gut zu uns, Dein Papa. So etwas vergisst man nicht, nie. Kannst Du dich noch erinnern, wir haben gespielt zusammen Mundharmonika!

Udo Jürgens: Damals hast Du zu mir gesagt: Musik ist gut gegen Angst.

Aljoscha Kasajev: Das weißt Du noch!

Udo Jürgens: Das werde ich nie vergessen.

Aljoscha Kasajev: Und jetzt, bist so eine berühmte...

Udo Jürgens: Sag mal, wie habt ihr mich gefunden?

Aljoscha Kasajev: Internet!

Sergej Kasajev: Großvater hat mir beigebracht Deutsch. Es war sehr wichtig für ihn.

Aljoscha Kasajev: Er hat gelernt von mir Deutsch.

Sergej Kasajev: Sprechen Sie Russisch?

Udo Jürgens: Nein, leider nicht. Dabei ist mein Vater hier geboren. Aber er hat uns sehr oft zuhause russische Gedichte vorgelesen.

Aljoscha Kasajev: Блин - haben dir immer so gut geschmeckt als Kind.



Salzburg 1957


Udo Jürgens: I may dream a million dreams, but how can they come true? There will never ever be another you.

Gitta: Das war schön!

Udo Jürgens: Danke. Danke Jungs! War's gut?

Gitta: Ja, war gut. War gut.

Udo Jürgens: Richtig gut?

Gitta: Richtig gut.

- - -

This love of mine [Tommy Dorsey, Frank Sinatra, 1941]

Udo Jürgens: Gefällt's dir?

Gitta: Es bringt mich zum Träumen.

Udo Jürgens: Dann wartest ab, bist Du die neue Judy Garland gehört hast. - Wir müssen die Betten auch wieder richtig hinstellen, bevor die Jungs wiederkommen.

Gitta: Wann hast Du die denn gekauft?

Udo Jürgens: Die ist ganz frisch raus.

Gitta: Mensch, Udo, Du kannst doch nicht Dein ganzes Geld dafür ausgeben!

Udo Jürgens: Gitta, das ist meine Schule, meine Ausbildung. Das ist gut angelegtes Geld! Was denn, ich mein's ernst!

Gitta: Hat die Plattenfirma sich schon gemeldet?

Udo Jürgens: Nein. Weißt du, was mein großer Traum wäre? Nach Amerika zu fahren. Oscar Peterson, Count Basie, Art Tatum, Duke Ellington, der ganze Jazz. Sinatra. Alles. Es kommt alles aus Amerika.

Gitta: Fahr' hin! Wirklich! Finde einen Weg, fahr' hin! Und wenn Du dann an so 'nem ganz schönen Strand stehst, so in Santa Monica oder sowas, dann bringst Du mir einen Kieselstein von da mit. Aber einen richtig schönen.

Udo Jürgens: Pass auf. Gleich wirst Du staunen.

Gitta: Was machst Du denn jetzt?

Udo Jürgens: Noch nicht schauen!

Gitta: Ich hab' vielleicht die Möglichkeit, nach Wien ans Theater zu gehen.

Udo Jürgens: Wirklich?

Gitta: Ja.

Udo Jürgens: An ein richtig tolles Theater?

Gitta: Ja. Aber wir würden uns dann viel weniger sehen.

Udo Jürgens: Gitta, Du musst das machen. Wien ist etwas anderes als Salzburg. Außerdem würde man dann endlich Dein Talent erkennen.

Gitta: Meinst du.

Udo Jürgens: Ja.

Gitta: Und was ist mit uns?

Udo Jürgens: Muss man sich wirklich jeden Tag sehen, um sich zu lieben?

Gitta: Nein. Aber man muss schon einen Alltag miteinander teilen, sonst ist es doch sinnlos.

Udo Jürgens: Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen: Udo Jürgens! - Was meinst du, Udo Jürgens ist doch besser als Udo Jürgen Bockelmann, findest Du nicht? Gefällt's dir nicht? Oder ist es der Name?

Gitta: Nein, der Name ist toll, Du siehst toll aus für die Bühne! Ganz schön hellblau! Mensch, der muss ja ein Vermögen gekostet haben.

Udo Jürgens: Ja, du, da zahle ich auch ganz schön lange daran ab, aber ich musste den haben, denn in diesem Anzug kann meine Karriere beginnen, mit der richtigen Klamotte, da kann ich auch richtig auftreten. - Halt!

Gitta: Kommst Du mich in Wien besuchen?

Udo Jürgens: Es kommt drauf an.

Gitta: Worauf?

Udo Jürgens: Ob Du nett zu mir bist.

Gitta: Udo, hör auf, Du bist ein Schuft, hör auf!

Udo Jürgens: Wer ist das? - Ja, ich komm' gleich.

Postbote: Guten Tag! - Ich habe ein Einschreiben für Udo Jürgen Bockelmann.

Udo Jürgens: Das bin ich.

Postbote: Da, bitte. Hier, unterschreiben. Danke. Schönen Tag, noch!

Gitta: Was ist es?

Udo Jürgens: Polydor.

Gitta: Mach' auf!

Udo Jürgens: Besser nicht.

Gitta: Jetzt los.



München


Udo Jürgens: Es ist der Mondschein von Portofino, es ist der sanfte Wind vom Meer. Es ist Dein Lächeln, beim roten Vino. Wir kommen wieder, wieder hierher.

Produzent: Herr Jürgens, können Sie mal versuchen, mal so ein bisschen so ein Schluchzen reinzubringen? So wie Freddy Quinn. Und das "R" bitte schön rollen, RRRRR.

Udo Jürgens: RRRRRR.

Udo Jürgens: Es ist der Mondschein von Porrrrtofino, es ist der sanfte Wind vom Meer. Es ist Dein Lächeln, beim rrrrroten Vino. Wir kommen wieder, wieder hierher.

- - -

Gitta: Er kommt! Gib' her! Gib' her, gib' her!

Udo Jürgens: Ich hab' geglaubt, Du bist in Wien!

Gitta: Ich hab' Vorstellung heute Abend, es ist nicht mehr viel Zeit, aber ich wollte dich unbedingt empfangen.

Udo Jürgens: Danke, Jungs.

Buddy: Und? Wann kommt die erste Platte?

Udo Jürgens: Wahrscheinlich schon ziemlich bald.

Buddy: Jaaa, hahaha!

Udo Jürgens: Ich geb' einen aus, ab an die Bar.

Buddy: Heinz, der Udo gibt einen aus!

Gitta: Alles in Ordnung?

Udo Jürgens: Jaja, alles gut.

Gitta: Wirklich?

Buddy: Deine Schicht beginnt heute ein bisschen früher, dafür darfst Du einen aufstrebenden Star bedienen.

Udo Jürgens: Naja, so richtig toll war es nicht.

Buddy: Auf dich, Udo!

Udo Jürgens: Es war grauenhaft. Es hat überhaupt keinen Spaß gemacht. Was die da von mir verlangen, das können andere viel besser, der Freddy Quinn. Ich kann aber nicht singen wie der Freddy Quinn.

Gitta: Hast Du ihnen das gesagt?

Udo Jürgens: Sowas interessiert die nicht. Die haben mich als Schlagersänger engagiert. Die Melodie war ja ganz nett, aber das hat einfach nichts mit mir zu tun! Diese Texte, Italien und Seemannslieder, so als ob Italien unsere einzige Sehnsucht wäre.

Gitta: Aber Du hast ihnen nichts gesagt.

Udo Jürgens: Du immer mit Deinem hehren Idealismus, klar, Du hättest dich hingestellt und gesagt, nein, das mache ich nicht!

Gitta: Ja, jetzt verkaufst Du Deine Seele an irgendeinen Schmalz?

Udo Jürgens: Ach, bitte, wie theatralisch, "verkaufst Du Deine Seele"! Ich bin ein Anfänger für die! Sie wissen, was die Menschen hören wollen, und die sind meine Chance. Das ist meine Eintrittskarte, verstehst Du?

Gitta: Wenn Du könntest, wie Du wolltest, was würdest Du denn für Musik machen?

Udo Jürgens: Weiß ich nicht. Aber das sind auf jeden Fall nicht meine Lieder. Ich werde nicht mal auf dem Hauptlabel erscheinen, sondern auf dem Billiglabel Heliodor.

Gitta: Was willst Du jetzt machen?

Udo Jürgens: Am liebsten würde ich abhauen. Vielleicht gehe ich einfach nach Amerika.



Moskau 1915


Polizist: Hej, Du da. Stehen bleiben! Stehen bleiben! Reisegenehmigung? - Wjatka.

Leute: Kommt hier rüber, kommt hier rüber!



Villa Bockelmann


Heinrich Bockelmann: Hast Du was von meiner Familie gehört?

Nastasja: Da ist ein Brief angekommen...

Heinrich Bockelmann: Gottseidank. Gottseidank.

Nastasja: Es geht ihnen gut in Schweden?

Heinrich Bockelmann: Ich glaube ja.

Nastasja: Sie müssen sehr vorsichtig sein. Letzte Woche haben sie hier den Direktor einer Ziegelfabrik ermordet. Seine eigenen Arbeiter haben ihn in die Moskwa geschmissen und mit Steinen beworfen, bis er nicht mehr aufgetaucht ist. Die Polizei hat zugeschaut. Er war Deutscher.

Heinrich Bockelmann: Gut. Hier kann ich wohl nicht bleiben. Ich werde in eine Pension gehen.

Bankangestellter: Wir haben alles so belassen, wie es war. Weil wir auf Ihre Rückkehr gehofft haben. Es ist so eine Freude, Sie zu sehen, Herr Direktor.

Heinrich Bockelmann: Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen. Leider habe ich nicht viel Zeit. Wie schnell können wir 5000 Rubel von meinen persönlichen Wertpapieren in Bargeld verwandeln?

Bankangestellter: Das dürfte innerhalb von 36 Stunden möglich sein.

Heinrich Bockelmann: Gut. Tun Sie es. Und dann überweisen wir es an den Kommandanten in Wjatka. Ich möchte soviel Geld nicht in bar bei mir tragen. Und Sie sind sicher, dass meine Konten und Wertpapiere nicht enteignet worden sind?

Bankangestellter: Ganz sicher. Ich kann es mir auch nicht erklären.

Heinrich Bockelmann: Gut. Vielleicht ist doch nicht alle Hoffnung verloren. Könnten Sie mich für einen Moment alleine lassen bitte? - Verbinden Sie mich mit dem stellvertretenden Innenminster Schonkowski. Ja, ich warte. - Herr Minister! Hier spricht Heinrich Bockelmann. Erinnern Sie sich an mich? Sie wissen, was mit mir geschehen ist. Herr Minister, ich rufe aus Moskau an, bin hier im Auftrag des Gouvernements Wiadka. Vielleicht verstehen Sie, dass ich mir Gedanken um meine Zukunft mache. Ich bin vor zwei Tagen 45 Jahre alt geworden. Eigentlich ist das, soviel ich weiß, der Zeitpunkt, an dem Verbannten die Freiheit wieder geschenkt wird, da sie nicht mehr als wehrfähig gelten. Können Sie mir sagen, wie es um meinen Fall steht? Entschuldigen Sie bitte, nein, nein! Der Vorwurf der Spionage ist vollkommen aus der Luft gegriffen! Ich bin unschuldig! - Herein.

Bankangestellter: Herr Direktor? Kann ich irgendetwas für Sie tun?

Heinrich Bockelmann: Danke, lieber Michail Iwanowitsch. Ist mit der Überweisung nach Wiadka alles in Ordnung?

Bankangestellter: Ich brauche nur noch eine Unterschrift. Ihrer Familie geht es wirklich gut?

Heinrich Bockelmann: Danke. Alles gut.

Leute: Der Herr Direktor...? Unglaublich...

Heinrich Bockelmann: Wassili Sergejewitsch Kropotkin! Kann ich Sie einen Augenblick sprechen? Unter vier Augen! - Lassen Sie uns offen miteinander reden! Von Mann zu Mann! Warum haben Sie mich damals am Bahnhof verraten und der russischen Polizei ausgeliefert? Weil Sie zu den Sozialisten gehören? War das der Grund? Ich dachte, die Sozialisten verabscheuen die russische Polizei?

Kropotkin: Sie wollen die Wahrheit wissen? Wissen Sie, wer das ist?

Heinrich Bockelmann: Nein.

Kropotkin: Das ist, das war meine Familie. Mein Vater und meine Mutter. Sie haben von Kindesbeinen an nur ums Überleben gekämpft. Und geschuftet. Von morgens bis abends. Für einen Hungerlohn. Ausgebeutet. Bis aufs Äußerste. Entrechtet. Vollkommen entmenschlicht. Also haben sie den Zaren untertänigst um Hilfe gebeten. Ihren Zaren! Sie haben hier seinen Reichtum vermehrt! Bis vor kurzem war es auf jeden Fall noch Ihr Zar! Und die Armee Ihres Zaren hat einfach in die Menge geschossen. Auf friedliche Arbeiter. Frauen, Kinder.

Heinrich Bockelmann: Mein Gott. Das tut mir Leid. Der Blutsonntag war schrecklich. Ein Unrecht. Ein schreckliches Unrecht. Aber ich bin dafür nicht verantwortlich. Sie wissen es. Warum also dieser persönliche Hass? Warum? Ich verstehe es nicht.

Kropotkin: Es geht nicht um Sie. Auch wenn Sie, wie alle anderen Ihres Standes, nur davon profitieren, dass das Volk bis aufs Blut ausgebeutet wird. Nein, die Wahrheit ist, die Geheimpolizei hat mich erpresst. Sie wissen, dass, dass ich Sozialist bin. Also haben sie gesagt, es ist Krieg, die Deutschen sind unsere Feinde. Wenn du, Kropotkin, kein Landesverräter bist, dann haben wir dieselben Interessen. Dieselben Interessen. Mit der Polizei des Zaren. Diese Henker, diese feigen Schweine, die meine Familie ausgelöscht haben. Die haben gesagt, wir wissen dass Heinrich Bockelmann gegen uns ist, er ist bestimmt ein deutscher Spion. Also, erzähl uns, was sagt er alles Schlechtes über Mütterchen Russland? Ja, und da habe ich alles gesagt, was sie hören wollten.

Heinrich Bockelmann: Ich war nie gegen dieses Land, das ist auch meine...

Kropotkin: Wen interessiert das? Sie wollten Sie hier festsetzen, also kam ich ihnen gerade recht. - Und jetzt? Wollen Sie fliehen?

Heinrich Bockelmann: Wie kommen Sie darauf?

Kropotkin: Ich helfe Ihnen. Ich helfe Ihnen bei der Flucht. Nein nein, nicht Ihnen zuliebe. Wir, die Sozialisten, wollen diesen Krieg beenden und die Monarchie abschaffen. Alles, was dem Zaren schadet, bringt uns näher an das Ziel. Ja, ich kann lesen und schreiben. Die Genossen haben es mir beigebracht, wie jedem Arbeiter, der sich ihnen anschließt. Gehen Sie morgen zu diesem Zeitungskiosk. Dort bekommen Sie Anweisungen, wie Sie Russland verlassen können.

Heinrich Bockelmann: Woher weiß ich, dass Sie mich nicht nur dazu bringen wollen, über irgendwelche Fluchtpläne zu sprechen, um mich dann wieder zu verraten?

Kropotkin: Das können Sie nicht wissen. Sie müssen einem Arbeiter vertrauen oder es sein lassen. Ist Ihre Entscheidung.

- - -

Setzt Euch. Und merkt Euch eines: Es gibt Situationen im Leben, da geht man geradeaus. Macht keine Umwege. Egal, was die anderen von einem denken.

Kioskbetreiber: Was willst Du?

Heinrich Bockelmann: Ich komme von Wladimir Sergejewitsch Kropotkin.

"Das barbarische Deutschland."

Kioskbetreiber: Hier.

Heinrich Bockelmann: Zentralbahnhof, Montag 21 Uhr. - Nein, nein! Keine Angst! Ich tue Ihnen nichts.

Fagottspieler [Henning Stoll]: Bremen. 20 Jahre. Es ist, als ob es in einem anderen Leben gewesen wäre. Ich wollte die Heimat meiner Mutter kennenlernen. Bremen. Ich war dort Lehrer. Für Musik und Kunst. In der Dechanatstraße. Schön war's in Deutschland. Mein Vater hatte hier in Moskau ein kleines Antiquitätengeschäft.

Heinrich Bockelmann: Nicht etwa in der Tverskaja?

Fagottspieler: Doch! Woher wissen Sie das? Heinrich Bockelmann: Meine Frau hat mir an unserem Hochzeitstag eine Bronzefigur geschenkt, die sie in diesem Laden gefunden hat. Sie stellt einen Fagottspieler dar.

Fagottspieler: Ich kenne diese Figur. Ich habe sie mein Leben lang geliebt. Sie hat mich dazu inspiriert, dieses Instrument zu lernen. Zu besonderen Anlässen habe ich mich gekleidet wie sie. Jetzt hilft mir das Kostüm beim Betteln.

Heinrich Bockelmann: Diese Zeiten machen aus manchem einen Bettler. Aber dass wir uns unter diesen Umständen wiedersehen, dass ich Sie finde, hier in Moskau, in diesen Zeiten? Vielleicht bringt diese Begegnung uns beiden Glück. Wenn dieser ganze Wahnsinn hier vorbei ist, dann werde ich Ihnen helfen. Das verspreche ich Ihnen.

"An meine Nachkommen!"

Nastasja: Herr Direktor!

Heinrich Bockelmann: Ich brauche Deine Hilfe!

Nastasja: Ja?

Heinrich Bockelmann: Kannst Du mir einfache Kleidung geben? Und Arbeiterschuhe?

Nastasja: Natürlich!

Heinrich Bockelmann: Nastasja. Bitte sorge dafür, dass meine Familie diesen Brief bekommt. Warte zwei Wochen und dann schicke ihn ab. Falls mir irgendetwas zustößt, das hier ist mein Vermächtnis. Wenn ich es schaffe...

Nastasja: Aber...

Heinrich Bockelmann: ...und das werde ich, dann fange ich den Brief in Schweden einfach ab.

- - -

Heinrich Bockelmann: Hallo?

Chef der Bahnpolizei: Was willst Du hier? Verschwinde!

Heinrich Bockelmann: Erkennnen Sie mich nicht mehr? Vor einem Jahr habe ich Ihnen meine goldene Uhr zur Aufbewahrung gegeben.

Chef der Bahnpolizei: Die Uhr!

Heinrich Bockelmann: Haben Sie sie noch?

Chef der Bahnpolizei: Die Uhr!

Heinrich Bockelmann: Ich bin gekommen, um diese Uhr auszulösen.

Chef der Bahnpolizei: Wirklich. Ein einfacher Arbeiter hat soviel Geld...

Heinrich Bockelmann: Wollen Sie das Geld oder nicht? 1500 Rubel. - Die Uhr.

Chef der Bahnpolizei: Willst Du verreisen? - Hast Du gedacht, ich werd' sie versetzen, haha? Hast Du gedacht! Nein. Ich hab' dir vertraut. Auch wenn es solange gedauert hat. На здоровье!

Kropotkin: Hast Du Feuer? Sie haben an alles gedacht. An den Schuhen erkennt man einen Mann. Haben Sie die Fahrkarte? Das ist gut. An den Schaltern gibt's besonders viel Geheimpolizei.

Heinrich Bockelmann: Wer ist der Mann da?

Kropotkin: Wer?

Heinrich Bockelmann: Dahinten. Bei den Gleisen.

Kropotkin: Kenne ich nicht. Der Zug, mit dem Sie fahren, wird am Petrograder Güterbahnhof kurz anhalten. Steigen Sie aus und fragen Sie die Arbeiter nach Wladimir, dem Wikinger. Er ist ein Russe aus Finnland. Er bringt Sie über die Grenze. Natürlich kostet das.

Heinrich Bockelmann: Danke.

- - -

Schaffner: Die Fahrkarten bitte! Zeigen Sie Ihre Fahrkarten bitte! - Wir müssen etwas klären. Kommen Sie. - Hier hinein.

Heinrich Bockelmann: Halt!

Polizist: Zeigen Sie Ihre Reisedokumente!

Schaffner: Sie sind auf der Flucht! Mit Ihrem Versteckspiel können Sie aufhören. Ich hab' den Brief gesehen. Die deutsche Schrift. Sie haben Glück! In Narkunowka kam plötzlich die Polizei in den Zug, da habe ich mir gedacht, ich nehmen Sie aus der Schlusslinie. Gleich sind wir in Sankt Petersburg. Sie müssen abspringen. Aber der Zug fährt nicht mehr sonderlich schnell. Also los, kommen Sie! Wir haben keine Zeit, kommen Sie schon!

Heinrich Bockelmann: Warum tun Sie das für mich?

Schaffner: Meine Frau ist Deutsche! Sie kommt aus Lübeck. Eine schöne Stadt. Was können Sie denn für diesen sinnlosen Krieg?

Heinrich Bockelmann: Danke!

Schaffner: Viel Glück!

Arbeiter: Was willst Du hier?

Heinrich Bockelmann: Wladimir der Wikinger, wisst ihr, wo ich den finde?

Arbeiter: Suchst Du Arbeit?

Heinrich Bockelmann: Mal sehn! Zahlt man denn hier gut?

Arbeiter: Hahaha, mal sehn! Wo zahlt man denn heutzutage noch gut? Da! Nicht zu verfehlen!

Heinrich Bockelmann: Danke.

Wladimir der Wikinger: Da vorne ist ein Wagen mit Stahlrohren. Du kannst beim Ausladen helfen. Sechs Kopeken die Stunde.

Heinrich Bockelmann: Ich suche keine Arbeit. Kropotkin schickt mich.

Wladimir der Wikinger: Warte. Setz dich. Setz dich. Über die Grenze.

Heinrich Bockelmann: Ja.

Wladimir der Wikinger: Morgen früh. Gleis 11. Eine Lieferung mit Maschinenteilen nach Turku hinter der finnischen Grenze. Aber billig ist es nicht!

Heinrich Bockelmann: Wieviel?

Wladimir der Wikinger: Kannst Du 60 Rubel zahlen? - In Ordnung. Komm morgen früh um fünf wieder.

- - -

Wladimir der Wikinger: Давай! Hej! Leg dich 'rein! Bis zur Grenze sind etwa drei Stunden. Die Haltezeiten musst Du abziehen. Wenn Du ein Schild in lateinischer Schrift siehst, hast Du es geschafft.

Heinrich Bockelmann: Was mache ich, wenn hier jemand reinkommt?

Wladimir der Wikinger: Tja, dann kann ich dir auch nicht helfen.



Saltsjöbaden, Schweden


Rudi Bockelmann: Stimmt überhaupt nicht, meine Schnecke ist schon lange über die Linie!

Erwin Bockelmann: Das ist doch gar nicht Deine Schnecke. Vielleicht solltest Du sie mal markieren, damit Du nicht schummelst.

Rudi Bockelmann: Ich hab' nicht geschummelt! Meine Schnecke ist die braune!

Erwin Bockelmann: Braun sind die doch beide!

Rudi Bockelmann: Dunkelbraun, dunkelbraun!

Erwin Bockelmann: Schau doch mal hin!

Rudi Bockelmann: Papa!

Heinrich Bockelmann: Rudi, Rudi! Erwin! Gert! Werner! - Rudjascha, glaubst du, Du kannst es noch? Oder hast Du es vergessen?

Rudi Bockelmann: M-m.

Heinrich Bockelmann: Puste sie auf!

Anna Bockelmann: Das ist der Papa!

Brüder: Rudi, Rudi, Rudi! Jaaaa!



Moskau, 2010


Udo Jürgens: Aljoscha! Es ist so gut, hier zu sein!

Aljoscha Kasajev: Du kannst dir nicht vorstellen, was bedeutet für mich, dass ich dir jetzt zurückeben kann diese Figur? Mein Freund. - So. Zuerst wir trinken jetzt einen Wodka auf unser Wiedersehen. На здоровье!

Udo Jürgens: Der hat's in sich.

Aljoscha Kasajev: Und jetzt - ich will dich nicht länger warten lassen. Das hat sowieso schon viel zu lange gedauert!

Udo Jürgens: 65 Jahre ist das nun her. Vor 65 Jahren habe ich ihn das letzte Mal in den Händen gehalten. Damals in Kärnten bei uns zuhause am Klavier. Mein Großvater hat einmal zu mir gesagt: Diese Figur würde immer auf mich aufpassen, und irgendwie hat sie das aus der Ferne auch getan! Und du, Aljoscha, hast auf sie aufgepasst. Hast sie beschützt. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.



Kärnten, Sommer 1944


Rudi Bockelmann: Udo! Udo! Was machst Du noch hier, komm! Die anderen sind schon alle auf'm Feld. Udo, komm. Gib' mir die Hand.

Erwin Bockelmann: Das ist nichts für kleine Kinder!

Rudi Bockelmann: Es ist angebrochen, Aljoscha. Die Männer sollen es auswechseln.

Aljoscha Kasajev: Ich sage meinen Kameraden Bescheid.

Rudi Bockelmann: Heute noch - wir brauchen den Wagen morgen. Aljoscha, Kinder, wir machen Pause, essen.

Kinder: Ja, Mittagessen.

Aljoscha Kasajev: Kameraden, wir machen Pause!

Zwangsarbeiter [Peter Faerber]: In Ordnung. Ihr habt es gehört.

Gemeindesekretär Josef [Martin Weinek]: Heil Hitler! Heil Hitler!

Rudi Bockelmann: Heil Hitler, Josef! Was verschafft uns die Ehre?

Gemeindesekretär Josef: Der Huber wird abgeholt. Sie sollten dabei sein. Seine Ernte wird ja auch beschlagnahmt. Der kommt nie mehr zurück! Unterschlagung von Volksvermögen und Wehrkraftzersetzung, das ist keine Kleinigkeit!

Rudi Bockelmann: Wieso Wehrkraftzersetzung? Ich habe gedacht, er hat zuwenig von der Ernte abgeführt?

Gemeindesekretär Josef: Ja gut, der hat zu mir persönlich gesagt, der Krieg ist sowieso verloren, wörtlich! Ich dreh' jetzt um zum Huber Bauern. Ich will die Herren von der Gestapo nicht länger warten lassen. Heil Hitler!

Käthe Bockelmann [Fanny Stavjanik]: Das kannst Du nicht zulassen, Rudi. Der Huber ist unser Nachbar. Du bist hier der Bürgermeister, Du musst da was tun.

Rudi Bockelmann: Huber, dass das Deutsche Reich den Krieg verloren hat, das glaubst Du doch nicht wirklich! Das hast Du nicht so gemeint! Und ich gehe mal zu Deinen Gunsten davon aus, dass Du es auch nicht so gesagt hast! Sonst kann dir keiner mehr helfen, das ist Wehrkraftzersetzung! Du musst das klarstellen!

Bauer Huber [Werner Haindl]: Die Gestapo. Aber was wird denn aus meinem Vieh, wenn ich weg bin?

Rudi Bockelmann: Muss sich die Frau drum kümmern. Huber, der kleine Fehler bei der Ernte, der lässt sich doch irgendwie erklären. Du sturer Bock, denk' an Deinen Ruf! Sag, dass Du nichts gesagt hast!

Bauer Huber: Man darf nicht sagen, was ein jeder, was ein jeder sehen kann. Und hören!

Rudi Bockelmann: Sei still!

Bauer Huber: Was ist denn das für eine depperte Welt. Die sind ja alle deppert!

Gestapo-Mann: Bring den Hund hier weg, wird's bald! - Heil Hitler!

Rudi Bockelmann: Heil Hitler!

Gemeindesekretär Josef: Heil Hitler! Hassler Josef, ich bin der örtliche Gemeindesekretär. Und das ist der Rudi Bockelmann, unser Bürgermeister.

Gestapo-Mann: Anton Huber?

Rudi Bockelmann: Der Herr Huber möchte eine Erklärung abgeben.

Gestapo-Mann: Dafür wird er noch viel Zeit haben.

Bauer Huber: Aber...

Gestapo-Mann: Mitkommen.

Bauer Huber: Ich wollte doch gerade eine Erklärung abgeben... Was wird denn aus meinem Hof werden?

Gestapo-Mann: Verfluchte Schweine!

- - -

Kinder: Schaut euch das an! Guckt doch mal! Jetzt guckt doch mal! Der stürzt ab! Der stürzt ab!

Udo Jürgens [Alexander Kalodikis]: Wartet! Wartet, bitte!

Junge: Was war das?

Anderer Junge: Wahrscheinlich Munition, die explodiert!

Joe Bockelmann [Lino Sliskovic]: Und, wer kommt mit?

- - -

Aljoscha Kasajev: Блин, musst Du probieren! Ist wie Pfannkuchen!

Udo Jürgens: Schmeckt gut!

Zwangsarbeiter: Was will der Junge hier?

Aljoscha Kasajev: Er gehört zu mir! Wenn einer was dagegen hat, soll er es sagen. - Alles gut. Musik hilft gegen Angst! Genauso wie Блин.

Zwangsarbeiter: Kameraden - die Front ist schon ganz in der Nähe!

Udo Jürgens: Kommt der Krieg jetzt zu uns?

Aljoscha Kasajev: Ja.



New Jersey USA, Sommer 1957


Klaus Behmel: Sag mal, was bringst Du denn eigentlich mit?

Udo Jürgens: Mist. Gitta wollte, dass ich ihr einen schönen Kieselstein vom Pazifik mitbringe. Das habe ich jetzt vergessen!

Junius [Thando Walbaum]: Wo fahrt ihr hin?

Udo Jürgens: Mach' mal runter!

Junius: Mach' mal runter! Wo fahrt ihr hin?

Udo Jürgens: New York! - Was?

Junius: Junius Cha... aus Harlem, New York City.

Udo Jürgens: Udo, aus Österreich. Klaus, auch aus Österreich. Wo hast Du so gut Deutsch sprechen gelernt?

Junius: Im College. Aber ich habe noch nie Leute aus Europe getroffen! Was macht ihr in Amerika?

Klaus Behmel: Kulturaustausch. Das haben wir über die Uni organisiert.

Junius: Wo seid ihr gewesen?

Udo Jürgens: Fast überall. Wir kommen gerade aus Kalifornien.

Junius: Und jetzt geht es nach hause zurück?

Klaus Behmel: Für mich ja, das Semester geht weiter. Aber der Udo, der hat da größere Freiheit.

Udo Jürgens: Ich wollte mich noch ein bisschen in New York umsehen bis das Geld endgültig weg ist.

Junius: Musst Du nicht zur University zurück?

Udo Jürgens: Nee, ich studier' nicht mehr, ich mach' Musik.

Junius: Ja phantastisch! Dann kannst Du bei mir wohnen, wenn Du willst! Ich zeig' dir, wo ich lebe! Harlem! Wollt ihr 'ne Coke?

Udo Jürgens: Gerne!

Junius: Sag' mal, magst Du Jazz?

Udo Jürgens: Ich liebe Jazz!

Junius: Sehr gut! Ich hab' 'nen Freund, der ist Türsteher in 'nem Jazzclub. Ich glaub', das wird dir gefallen!

Klaus Behmel: Das ist jetzt nicht Dein Ernst. Du gehst net mit dem nach New York? Ja bist Du denn deppert, dieser Neger, Du kennst den doch gar net!

Udo Jürgens: Jetzt laß mich mal machen!

Junius: Also, nimmst Du die Einladung an?

Udo Jürgens: Auf jeden Fall!

Junius: Really? Yeah, wenn Du willst, kannst Du direkt mit mir fahren!

Udo Jürgens: Ah - wir müssen das Auto noch gemeinsam zurückgeben.

Junius: Okay. Und Dein Gepäck? Das schleppst Du dann durch New York? Ah - keine gute Idee. Weißt Du was? Gib's einfach mir, dann brauchst Du dich nicht drum zu kümmern!

Udo Jürgens: Okay!

Junius: Ich mach' das! - Halt mal. Alles klar. Morgen nachmittag um drei. Gegenüber vom Plaza Hotel. Sehr luxuriös. Kann ich mir nicht leisten! Am Central Park. Da stehen Parkbänke. Das kannst Du gar nicht verfehlen! Okay? Here. All right. Haha.

Klaus Behmel: Da.

Udo Jürgens: Was ist das?

Klaus Behmel: Dein Kiesel. Vom Pazifik. Falls Du lebend zurückkommst. Ich glaube wirklich, Du hast den Verstand verloren! Der hat Dein Gepäck und ist längst über alle Berge. Herzlichen Glückwunsch!

- - -

Udo Jürgens: 50, 60, 70, 80, 90, 20. - Ich bin so ein Idiot! "Der hat Dein Gepäck und ist längst über alle Berge! Herzlichen Glückwunsch!" - Ah! Herzlichen Glückwunsch!

Junius: Here! - Darf ich vorstellen: Harpert...

Harpert: Was machst Du mit all den Niggern um dich rum?

Junius: Der macht nur Spaß.

Harpert: Du musst dieser Musiker aus Europa sein. Junius hat mir schon viel von Dir erzählt.

Junius: Yeah, come.

Harpert: Viel Spaß, Jungs!

Junius: Zwei Bier! Ja, zwei Bier!

Udo Jürgens: Danke!

Junius: Here.

Udo Jürgens: Dankeschön.

Junius: Nicht so laut! Sonst weckst Du noch meine Eltern auf!

Harpert: Keine Sorge, Mann! Nur ein bisschen Jazz für Deinen Gast hier. - Was machst Du überhaupt für Musik?

Udo Jürgens: Ich bin noch auf der Suche.

Harpert: Hast Du deshalb Dein Studium aufgegeben?

Udo Jürgens: Nein. Ich habe meiner Familie zuliebe ein paar Semester am Konservatorium studiert, aber das ist nicht die Musik, die ich machen will.

Junius: Mein Bruder und ich studieren. Das ist nicht selbstverständlich. Vor allem nicht für Mum und Dad. Aber wir arbeiten dafür. Hart. Ich werde dieses Studium abschließen. Und dann werde ich etwas für die Leute hier tun.

- - -

Mann: Hej, Junius!

Udo Jürgens: Schau mal da!

Junius: Keine Angst. Das ist nur ein Maulwurf. Die leben da unten in den U-Bahn-Schächten. Das kann uns allen hier passieren. Das ist ein ständiger Kampf. Das geht ganz schnell.

Bandleader: Kleine Pause, Leute! - Wo kommst Du her?

Udo Jürgens: Aus Europa.

Bandleader: Europa? Da würde ich auch gerne mal spielen.

Junius: Er ist Musiker!

Bandleader: Was Du nicht sagst! Was spielst Du denn?

Udo Jürgens: Klavier. Klavier und Gesang.

Bandleader: Hahaha. Habt Ihr gehört, Jungs? Der Kerl hier kommt aus Europa. Spielt Klavier und singt. Was machst Du so für Musik?

Udo Jürgens: Sowas, was Ihr macht! Ihr spielt so, wie Ihr seid. So, wie Euer Leben ist! Ihr spielt das, was Euch berührt!

Bandleader: M-m. Komm! Setz Dich hin. Spiel mal ein paar Takte!

Udo Jürgens: Im Ernst? Hier?

Bandleader: Ja. Hier.

Junius: Spiel!

Udo Jürgens: All right then.

Bandleader: Ihr habt's gehört, Jungs! Los geht's!

Junius: Komm schon!

Udo Jürgens: Thank you. - Up in the morning, out on the job, work like a devil for my pay. But the lucky old sun ain't got nothing to do but roll around heaven all day. Good Lord above can't you know I'm pining tears all in my eyes? Send down that clouds with a silver lining lift me to paradise.

Harpert: Vorsicht, Mann! Hast Du nicht erzählt, dass Du eine Freundin zu Hause hast?

Udo Jürgens: Wenn das Leben mir so entgegenkommt - was soll ich machen? - Lift me to paradise. Show me the river, take me across, wash all my troubles away, but the lucky old sun ain't got nothing to do but roll around heaven, roll around heaven, roll around heaven all day, but roll around heaven all day.



Kärnten, Herbst 1944


Käthe Bockelmann: Was machst Du denn da? Das klingt ja genau wie die Bomber!

Udo Jürgens: Ich woll' doch nur ausprobieren, ob das geht. Ob das genauso klingt.

Rudi Bockelmann: Das klingt allerdings so. Komm ab ins Bett.

- - -

Udo Jürgens: Das ist ganz neu!

Junge: Egal, das ist doch eh keine richtige Uniform. Aber wenn wir erst richtig in der HJ sind, dann kriege ich sicher auch einen echten Dolch!

Mopedfahrer: Heil Hitler, Herr Jungzugführer!

Jungzugführer: Heil Hitler!

Mopedfahrer: Zeigen Sie mal, was Ihre Truppe so drauf hat!

Jungzugführer: Jawohl! - Stehenbleiben! In einer Reihe ausrichten! Zack zack, das geht schneller! Die Augen geradeaus! Und "Heil Hitler, Herr Jungzugführer!"

Alle: Heil Hitler, Herr Jungzugführer!

Mopedfahrer: Das muss ein entschlossener Knall sein! Gleichzeitig!

Alle: Heil Hitler, Herr Jungzugführer!

Mopedfahrer: Steh gerade! Vortreten! Die deutsche Jugend duldet keine Nachlässigkeiten! Blick geradeaus! Ein Schuh, der nicht ordnungsgemäß zugebunden ist, schadet dem Ansehen der ganzen Truppe! Wie siehst Du überhaupt aus, Hanswurst, hä! Dein Hemd ist aus Deiner Bauernhose gerutscht!

Udo Jürgens: Entschuldigung.

Mopedfahrer: Aufstehen! Bringt ihn nach hause! Sowas können wir hier nicht gebrauchen!

Alle: Wir kennen keine Klassen, nur Deutsche treu geschart. Der Weltfeind, den wir hassen, ist nicht von deutscher Art. Wir sind die Hitlerjugend, wir wollen euch befreien...

Arzt [Johannes Silberschneider]: So. Fertig. Das sind Ohrentropfen. Die träufeln Sie auf einen kleinen Wattebausch, am besten warme Watte, und damit verschließen Sie vorsichtig das Ohr.

Joe Bockelmann: Hej. Das wird schon wieder.

Arzt: Das war keine Ohrfeige, das war ein ganz brutaler Schlag.

Rudi Bockelmann: Naja, er wird halt... Udo. Hast Du da irgendwas falsch gemacht?

Käthe Bockelmann: Ach!

Rudolf Bockelman: Ja, es muss ja irgendwas Schwerwiegendes vorgefallen sein! Was hast Du da gemacht? Bleib' erstmal liegen.

Arzt: Gute Besserung!

Rudi Bockelmann: Was kann man da machen mit seinem Ohr?

Arzt: Gar nichts. Das Trommelfell ist buchstäblich zerfetzt. Das muss von selbst wieder zuwachsen. Das kann sehr lange dauern und es werden Narben bleiben. Der Junge wird nie mehr sein vollständiges Hörvermögen zurückbekommen.

Rudi Bockelmann: Ich bring' Sie raus.

Arzt: Wiedersehen.

Käthe Bockelmann: Ach, willst Du das machen? Du wirst sehn, morgen sieht alles ganz anders aus. Und der Opa muss ja auch heute noch irgendwann ankommen. So, heb' Deinen Kopf.

Udo Jürgens: Aber ich muss doch wieder richtig hören können!

Käthe Bockelmann: Das wirst Du!

Rudi Bockelmann: Puste mal! - Ja - weißt Du, ich glaub', Du hast die Zauberkraft noch nicht verloren - siehst Du!

Udo Jürgens: Das muss Opa sein.

Joe Bockelmann: Opa Heinrich!

Heinrich Bockelmann: Joe! Mein Junge!

Joe Bockelmann: Udo wurde geschlagen.

Heinrich Bockelmann: Jetzt weißt Du, was es bedeutet, sich mit dem Teufel einzulassen. Ich habe dich immer davor gewarnt.

Rudi Bockelmann: Ja, aber da warst Du der Einzige. Was Hitler gemacht hat am Anfang war gut. Für uns hier war es gut. Die Leute die haben hier gehungert. Wenn der Anschluss nicht gekommen wäre an Deutschland, hier ging doch alles den Bach runter. Der verdammte Versailler Vertrag hat uns die Würde genommen. Doch, hat dem deutschen Volk die Würde genommen!

Heinrich Bockelmann: Uns! Dem deutschen Volk! Da sind wir eher noch Russen! Auch wenn man das in diesen Zeiten nicht laut sagen darf! Ich habe bis heute nicht verstanden, warum Du für diesen Anschluss gestimmt hast.

Rudi Bockelmann: Ach Vater, Du lebst in Meran, Du lebst allein, seit Du und Mutter seit ihr Euch getrennt habt, da ist vieles sehr viel einfacher.

Heinrich Bockelmann: Warum lebe ich in Meran? Warum habe ich aufgehört zu arbeiten? Warum, Rudi? Weil ich mit diesem Pack nichts zu tun haben wollte! Weil ich die nicht finanzieren wollte, darum! Wenn ich auch nur geahnt hätte, was aus Deutschland wird, dann wären wir nie zurück gegangen. Ich hätte hier nichts mehr aufgebaut. Vielleicht wäre dann auch alles anders gekommen, auch zwischen Deiner Mutter und mir. Aber Du hast Dich mit dem Teufel eingelassen, genau das hast Du!

Rudi Bockelmann: Vater, ich bin Bürgermeister! Ich habe hier meine Pflicht getan! Am Anfang sah alles ganz anders aus!

Heinrich Bockelmann: Am Anfang war das genau das gleiche gefährliche und primitive Pack, das es auch heute ist! Nur das man die Fratze jetzt deutlich sieht! Ich dachte, ihr hattet damals Eure Lektion gelernt. Damals, in dem Restaurant in Moskau. Als ich mit Euch durch den Brunnen ging, da wollte ich Euch klarmachen, dass man immer seinen eigenen Weg gehen muss, egal, was die anderen von einem denken. Und wenn Du ehrlich bist, Rudi, dann kannst Du diese Horde von dumpfen Barbaren nicht wirklich gutheißen. Wenn Du wirklich auf Deine innere Stimme gehört hättest, dann hättest Du Dich von diesem Strom nicht mitreißen lassen.

- - -

Udo Jürgens: Es stimmt was nicht mit meinem Ohr!

Heinrich Bockelmann: Aber Du kannst was hören!

Udo Jürgens: Ja, aber nicht so wie vorher!

Heinrich Bockelmann: Das wird alles wieder. Mach' dir keine Sorgen. Kannst Du Dich noch erinnern, als ich Dir mal erzählt hab', wie ich mit Deinem Vater und Deinem Onkel Erwin in Moskau durch den Brunnen gegangen bin?

Udo Jürgens: Weil ihr ganz schnell zu dem Tisch kommen wolltet und alle haben ganz komisch geguckt!

Heinrich Bockelmann: Ja. Wenn Du was willst, dann kriegst Du das auch. Einfach geradeaus gehen! Deinen Weg! Das ist das Wichtigste im Leben. Verstehst Du?

Udo Jürgens: Wenn ich spiele, dann kann ich das so machen, dass es so klingst, wie alles, was ich mir gerade vorstelle. Alles! Aber vielleicht geht das jetzt nicht mehr!

Heinrich Bockelmann: Doch. Das kommt wieder! Und ich hab's doch eben gehört! Du hast doch ganz wunderbar gespielt. Du, Udo, siehst Du den Mann mit dem Fagott hier? Der passt auf Dich auf. Wie er auf uns alle aufgepasst hat. Weißt Du, eigentlich bin ich nur nach Russland gegangen, weil ich ihn spielen gehört hab'. Auf dem Weihnachtsmarkt in Bremen. Verrückt.

Udo Jürgens: Aber Papa hat gesagt, dass Du ihn getroffen hast, als Du aus Moskau fliehen musstest.

Heinrich Bockelmann: Auch. Aber das war viele Jahre später. So. Und jetzt musst Du schlafen.

Udo Jürgens: Und was ist mit dem Mann heute?

Heinrich Bockelmann: Ich weiß es nicht. Ich hab' ihm damals einen Brief geschrieben, dass er nach England fliehen soll. Da hab' ich Geld für ihn hinterlegt.

Udo Jürgens: England? Das sind doch unsere Feinde!

Heinrich: Hahaha, das war in einer anderen Zeit.

Udo Jürgens: Hat der Mann es denn geschafft nach England?

Heinrich: Ich weiß es nicht. Ich hab' nie wieder was von ihm gehört. Aber manchmal, ich stell' mir manchmal vor, dass er ein gutes Leben führt. Mit einer Frau, Kindern. Ich hätt' mir wirklich gewünscht, ihn nochmal spielen zu hören. Hm. So. Und jetzt schlaf' schön. Träum' was Schönes. - Schlaf schön, Joe.

Joe Bockelmann: Nacht, Opa.

Heinrich: Träum' schön. - Gute Nacht, ihr zwei!



21. Januar 1945


Rudi Bockelmann: Jungs, wir werden heute noch zu einer weiten Reise aufbrechen.

Joe Bockelmann: Wieso denn?

Rudi Bockelmann: Weil die Front näherkommt und weil wir es dann vielleicht hier nicht mehr so schön haben werden.

Käthe Bockelmann: Wir fahren zu Papas Bruder nach Barendorf in die Lüneburger Heide.

Udo Jürgens: Ist Omi Anna auch da?

Käthe Bockelmann: Das weißt Du doch, die wohnt doch da. Jetzt frühstückt ordentlich, bevor wir losfahren.

Rudi Bockelmann: Aljoscha! Hier, nimm.

Aljoscha: Herr Bockelmann, ich kann doch nicht...

Rudi Bockelmann: Du bist dafür verantwortlich!

Aljoscha: Aber nur bis Sie wiederkommen.

Rudi Bockelmann: Abgemacht. Wenn ich weiß, die Figur ist in Sicherheit, dann sind wir auch in Sicherheit.

Käthe Bockelmann: Udo!

Rudi Bockelmann: До свидания.

Käthe Bockelmann: Joe, bitte, nimm das. - In Barendorf steht auch ein Klavier. Zumindest ein Akkordeon.

Udo Jürgens: Wenn wir jetzt fahren, heißt das, dass die Bösen die Guten besiegt haben?



Gut Bahrendorf, Lüneburger Heide, Februar 1945


Anna: Rudi!

Rudi Bockelmann: Mutter! - Ist gut. - Die Großmutter!

Anna: Rudi, Rudi! - Käthe, ich hoffe, die reichen.

Käthe Bockelmann: Dann kümmere ich mich jetzt um die Kinder. - Rudi, was hast Du vor? Warum? Warum? Ich verstehe Dich nicht!

Rudi Bockelmann: Mutter, lass' sie uns bitte alleine. - Ich kann den Ort nicht sich selbst überlassen. Ich bin der Bürgermeister.

Käthe Bockelmann: Rudi, der Krieg ist verloren. Es ist vorbei! Was willst Du denn noch in Ottmanach? Rudi, Du kannst nichts mehr tun! Der Ort wird den Russen in die Hände fallen!

Rudi Bockelmann: Trotzdem, ich muss meinen Pflichten nachkommen! Ich kann nicht einfach weglaufen!

Käthe Bockelmann: Die Russen erschießen Dich doch einfach! Du bist Großgrundbesitzer! In Russland geboren, für die bist Du doch ein Verräter! Und wenn die es nicht tun, dann machen das unsere! Rudi, lass' die Decken. Rudi, Du hättest uns doch überhaupt nicht hierherbringen dürfen, das ist doch jetzt Fahnenflucht! Du kannst nicht mehr zurück!

Rudi Bockelmann: Käthe, mir passiert nichts. Die Russen, es ist doch gar nicht gesagt, dass sie als Erste kommen. Und von unseren Leuten habe ich nichts zu befürchten, ich war immer loyal, ich habe meine Pflicht getan, ich bin Parteimitglied. Ich hab' die richtigen Freunde. Ich kann die Leute im Dorf nicht im Stich lassen.

Käthe Bockelmann: Aber uns kannst Du im Stich lassen, ja? Wenn wir nicht nach Österreich gegangen wären, wenn wir hier geblieben wären...

Rudi Bockelmann: Käthe, bitte. Wir wollten weg von der Familie. Möglichst weit weg. Wir wollten unsere Unabhängigkeit.

Käthe Bockelmann: Was wirst Du den Jungs sagen?

Rudi Bockelmann: Natürlich dass ich wiederkomme. Käthe, ich komm' wieder.

Käthe Bockelmann: Du musst. Schon wegen dem kleinen Manfred. Der wüsste sonst ja gar nicht, wie sein Vater ausgesehen hat.

Rudi Bockelmann: Joe, komm.

Udo Jürgens: Kommst Du auch wirklich wieder?

Rudi Bockelmann: Ja, ganz sicher. Versprochen. Leg' dich hin.

- - -

Frau: Grüß Gott, Herr Bockelmann!

Rudi Bockelmann: Grüß Gott. - Schon besser. Sagst Du bitte Aljoscha Bescheid, dass ich ihn sprechen will?

Verwalter Karl [Kai Möller]: Er ist abgehauen.

Rudi Bockelmann: Was?

Verwalter Karl: Er und drei andere Russen. Es gibt Gerüchte, dass die Wehrmacht die Russen deportieren will, vielleicht deshalb.

Rudi Bockelmann: Aber ich hab' ihm den Mann mit dem Fagott, die Bronzestatue zur Aufbewahrung - hat er sie Dir gegeben?

Verwalter Karl: Nein. - Herr Bockelmann, die Gestapo war hier.

Rudi Bockelmann: Wieso das denn? Was wollen die denn?

Verwalter Karl: Das weiß ich nicht. Sie suchen nach Ihnen. Sie..., der eine meinte, Sie seien ein Volksverräter.

Rudi Bockelmann: Karl, ist doch Unsinn. Ich ein Volksverräter, das muss eine Verwechslung sein. Hör auf damit, Schluss!

Verwalter Karl: Herr Bockelmann, die können alles mögliche zusammenbehaupten. Volksverräter, darauf steht die Todesstrafe!

Rudi Bockelmann: Geh weg. Geh weg. - Grüß Dich, Stefan! Kommst Du, um mich zu verhaften?



München 1961


Udo Jürgens: Was ich Dir sagen will, fällt mir so schwer. Das Blatt Papier vor mir, bleibt weiß und leer. Ich find' die Worte nicht, doch glaube mir, was ich Dir sagen will, sagt mein Klavier. - Wir, wir hatten nicht viele Mittel. Eigentlich müsste beim zweiten Klaviersolo unterm Schluss ein richtiges Orchester spielen, wissen Sie. Mit Streichern und so.

Produzent: Orchester? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was das kostet, und dann noch für ein Lied, das sowieso keiner hören will?

Udo Jürgens: Wie meinen Sie denn das? Gefällt es Ihnen nicht?

Produzent: Herr Jürgens, Sie dürfen mich da nicht falsch verstehen, das ist eine hübsche Komposition, gar kein Zweifel. Kann sein, dass das in Frankreich oder in Amerika ein Erfolg sein würde, aber in Deutschland geht das nicht! Glauben Sie mir, da haben wir Ihnen jahrelange Erfahrung voraus! Was ist Deutschland erfolgreich ist, das wissen wir ziemlich gut.

Udo Jürgens: Ja, aber das...

Produzent: Herr Jürgens, wir haben Sie nicht geholt, um mit Ihnen über die Qualität unserer Lieder zu debattieren. Wir haben Sie zum Singen geholt.

Udo Jürgens: Ja, aber das, was Sie von mir wollen, was ja den großen Erfolg bringen soll, das bin nicht ich! Was hab' ich denn mit Seemannsliedern zu tun oder mit dem Rotwein in Portofino! Ich bin Mitte 20, Herrgottnochmal. Ich finde, wir haben ganz andere Probleme und tun hier so, als ob Italien unsere einzige Sehnsucht wäre!

Produzent: Ja, da haben wir wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Art Musik, die wir machen wollen! Die Lieder, die wir Ihnen anbieten, die gefallen Ihnen offensichtlich nicht, obwohl wir uns wirklich alle Mühe geben!

Udo Jürgens: Amerika! Amerika! Wir reden doch immer davon, wie toll die Amerikaner sind, nicht? Wissen Sie, was ich dort gelernt habe, als ich in Harlem mit Jazzmusikern zusammen spielen durfte? Die spielen eine Musik, die so ist, wie sie selbst. Authentisch. Wir müssen endlich beginnen, von uns selbst zu erzählen und von unserem Land! Die Zeit der Schnulzen geht vorüber. Wir könnten sofort anfangen, eine Schallplatte mit meinen Liedern zu produzieren, aber Sie, Sie hören sich meine Ideen ja nicht einmal an!

Produzent: Gut! Sie können ab sofort alles selbst komponieren. Aber nicht mehr bei uns. Die Zusammenarbeit ist hiermit definitiv beendet.

Udo Jürgens: Moment. Wir haben einen Vertrag. Mir stehen immer noch sechs Produktionen zu. 900 Mark!

Produzent: Sie können uns ja verklagen!



Herbst 1961


I reach for the stars when I reach for your hand, but stars tumble down from the clouds to the land. When you come... [Shirley Bassey, Udo Jürgens]

Vermieter: Herr Jürgens, öffnen's bitt' schön! Herr Jürgens, ich weiß doch, dass Sie da sind! Jetzt machen's schon auf! - Grüß Gott! Sie wissen, warum ich gekommen bin, gell?

Udo Jürgens: Herr Meier, es ist jetzt gar nicht günstig. Ich bin mitten in der Arbeit.

Vermieter: Zwei Monatsmieten sind Sie mir schuldig!

Udo Jürgens: Hier, schauen Sie mal! Daran arbeite ich gerade. Das schicke ich dem Siegel Musikverlag.

Vermieter: Nein, Siegel, sagt mir jetzt nichts!

Udo Jürgens: Aber der hat einen ganz berühmten Verlag! Und ich werde ihnen das schicken. Sehen Sie, das Kouvert habe ich schon vorbereitet. Ich bin mir sicher, die werden mein Lied nehmen, und dann bekommen Sie soviel Monatsmieten, wie Sie wollen, Herr Meier.

Vermieter: In fünf Tagen sehe ich meine Miete! Und zwar endgültig!

Udo Jürgens: Jawohl, Herr Meier. Sie können sich darauf verlassen!

Vermieter: Jaja, das kennen wir schon!

- - -

Schauspielerin: Aufpassen... Na gut. Bis morgen.

Gitta: Ja, bis morgen. - Tschüss, Ja.

Udo Jürgens: Schön, Dich zu sehen. - Du, ich glaub', wir sollten reden.

Gitta: Ja, ja.

Udo Jürgens: Ich hab' das Foto gefunden, oder das, was Du davon übrig gelassen hast.

Gitta: Ja, tut mir Leid. Ich hatte kein Recht, das zu zerreissen.

Udo Jürgens: Ach...

Gitta: Nee. Ich hab's in Deiner Jacke gefunden, als ich nach Zigaretten gesucht habe. - Wie lange geht das denn schon?

Udo Jürgens: Paar Monate...

Gitta: Ja, irgendwie habe ich es gewusst. Also, nicht, dass da 'ne andere Frau ist, aber dass Du nicht da bist. Ist es was Ernstes?

Udo Jürgens: Was heißt schon was Ernstes? Weißt ja, wie ich bin! Ich will eigentlich gar nichts Ernstes, irgendwas, was mich, was mich verpflichtet, ich will was Schönes! Ich will frei leben, ich will... Ernst und wichtig ist mir die Musik! Ich will Dir nicht wehtun.

Gitta: Ich geh' mich umziehen.

Udo Jürgens: Ja.

Gitta: Ich wird' nie die Einzige für dich sein. Ich werd' auch nicht an erster Stelle stehen, weil da steht ja Dein Klavier! Du liebst Deine Musik. Ich glaub', Du liebst nur Deine Musik, und das wird auch immer so sein!

Udo Jürgens: Gitta, wenn ich jemals etwas erreiche, dann auch wegen Dir! Ich weiß das. Und Du weißt es auch. Es tut mir Leid.

Gitta: Udo, ich glaub', es ist besser, wenn wir uns jetzt und hier trennen. Wenn wir uns nochmal über den Weg laufen, dann haben wir uns nichts vorzuwerfen! - Mach's gut!



Hamburg 1962


Chauffeur: Bitteschön!

Udo Jürgens: While I give to you, and you give to me, true love, true love. So on and on, it will always be, true love, true love. [Cole Porter]

Erwin Bockelmann: Muss mich schon fragen, wirst Du eigentlich Dein Leben zerstören? Wie steht denn die Familie da, wenn rauskommt, was Du da machst? Muss sich ja schämen!

- - -

Erwin Bockelmann: Herein!

Udo Jürgens: Onkel Erwin?

Erwin Bockelmann: Ich hoffe, Du konntest über unser gestriges Gespräch ein wenig nachdenken! Das geht nicht gegen Dich persönlich. Wir alle mögen Dich sehr gerne. Aber mit Deiner Art, Dein Leben zu führen, da bist Du meiner Meinung nach nun einmal auf dem Holzweg! Ich hatte dir angeboten, bei mir in der Firma anzufangen, wie Dein Bruder Joe.

Udo Jürgens: Ich glaube nicht, dass das mein Leben ist.

Erwin Bockelmann: Nun denn. - Worum ich Dich heute bitten muss ist ein wenig heikel. Aber ich glaube, es ist richtig so. Ich gehöre durch Herkunft und Position nun einmal zur führenden Gesellschaft in dieser Stadt, und meine Kinder ebenso.

Udo Jürgens: Ja.

Erwin Bockelmann: Ich möchte nicht, dass Du das falsch verstehst, mein Junge. Du bist mir immer willkommen. Und Du kannst auch gerne hier wohnen, solange Dein Engagement hier in Hamburg läuft, aber wir haben heute abend ein paar wichtige Leute eingeladen. So, um es kurz zu machen, das ist nicht Deine Welt. Du würdest dich da auch gar nicht wohlfühlen. Und daher, daher bitte ich Dich, heute abend nicht hier zu sein. Mach' Dir einen schönen Abend damit! Geh' ins Kino! Oder was auch immer! Und sag' meinen Söhnen nichts von diesem Gespräch, die würden das nicht verstehen.

Udo Jürgens: Noch eins! Ich kann's mir ja leisten. Danke, Onkel Erwin, Du bist zu großzügig! - Können Sie das mal lauter drehen? Das gibt's doch nicht. Das glaube ich jetzt einfach nicht. Was ist das für ein Sender?

Wirt: Der amerikanische Truppensender AFN.

Udo Jürgens: Das ist Shirley Bassey, die da singt! Das ist "Reach for the Stars"! Das hab' ich komponiert! Die singt mein Leid!

Wirt: In Amerika.

Udo Jürgens: Ja.

Wirt: Die singt Ihr Lied in Amerika, und Sie haben überhaupt nichts davon gewusst. Natürlich. Ich verstehe.

Udo Jürgens: Siegel. Der Verlag muss das irgendwie nach Amerika gebracht haben, aber das haben sie mir nicht gesagt! Wissen Sie, was das heißt? Wenn das bei AFN gespielt wird, dann heißt das, dass ist ein Erfolg in Amerika!



München 1963


Hans Beierlein [Fritz Hammel]: Wissen Sie, wann ich zum ersten Mal Ihren Namen gehört habe? Von Siegel. Sie haben doch "Reach for the Stars" für ihn geschrieben, nicht wahr? Aber er hat Sie nicht exklusiv unter Vertrag genommen, nicht wahr.

Udo Jürgens: Nein.

Hans Beierlein: Ich habe aber was ganz anderes mit Ihnen vor. Sie sollen nicht für andere komponieren, sondern Ihre eigenen Lieder selbst singen.

Udo Jürgens: Meine eigenen Lieder selbst singen?

Hans Beierlein: Trauen Sie sich das nicht zu?

Udo Jürgens: Doch, natürlich! Aber...

Hans Beierlein: Nix aber. Will nur hören: Trauen Sie sich zu, gute Songs zu schreiben und sie zu singen, oder lassen wir es?

Udo Jürgens: Natürlich traue ich mir das zu.

Hans Beierlein: Sehen Sie! Genau das wollte ich hören. Es müssen Lieder entstehen, die, ja die, die die alltäglichen Lebenssituationen der Menschen hier im Lande spiegeln. Lieder, die authentisch sind, Lieder, ja, die den Puls der Zeit treffen! Die Lieder müssen endlich Inhalte bekommen, die, die unsere Ängste, unsere Sorgen, aber auch unser Glück widerspiegeln. - Ist das falsch?

Udo Jürgens: Nein, im Gegenteil, davon rede ich ja seit Jahren!

Hans Beierlein: Gut! Dann sind wir uns einig. Ich kümmere mich ab sofort um das Geschäftliche, und Sie um die Musik! Darauf trinken wir. "17 Jahr, blondes Haar", "Warum nur, warum", "Was ich Dir sagen will", "Und immer immer wieder geht die Sonne auf", na...

Udo Jürgens: Ja, das kann man natürlich noch umschreiben, das ist noch nicht so richtig fertig.

Hans Beierlein: Wollen wir mal sehen, das schauen wir uns alles mal in Ruhe an, ne?



Kärnten, März 1945


Brettschneider [Arthur Klemt]: Wir kriegen Euch alle!

Rudi Bockelmann: Herr Kommissar, ich kann nur immer wieder sagen, ich weiß nicht, wer diese unsinnigen Gerüchte aufgebracht hat.

Brettschneider: Das sind doch keine Gerüchte! Sie sind desertiert! Sie haben Ihren Posten im Stich gelassen!

Rudi Bockelmann: Ich habe mit meiner Familie Verwandte in Norddeutschland besucht. Ich hatte nie die Absicht, meine...

Brettschneider: Sie haben 1500 Kilo Gepäck mitgenommen, und das ist Diebstahl am eigenen Volk! Sie sind ein Volksverräter, so nennt man das, oder nicht? Alle Kleider Ihrer Frau und Ihrer Söhne sind verschwunden, und...

Rudi Bockelmann: Das ist eine bösartige Verleumdung...

Brettschneider: Sie reden nur, wenn Sie gefragt sind! - Das Volk von Kärnten hat doch das Urteil über Sie längst gesprochen. Unsere Aufgabe ist es nur noch, es zu vollstrecken. Wir werden Sie aufhängen oder erschießen.

Rudi Bockelmann: Aber wir sind mit dem Zug gefahren, mit dem Zug. Der Schaffner, jeder kann bezeugen, dass wir nur einige Koffer mitgenommen haben!

Brettschneider: Wir haben Bücher bei Ihnen gefunden. Entartete Bücher. Franz Kafka, Erich Kästner, Thomas Mann.

Rudi Bockelmann: Ja, ich habe sehr viele alte Bücher in meiner Bibliothek, seit meiner Kindheit. Natürlich habe ich schon lang nicht mehr in denen gelesen. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort!

Brettschneider: Ihre Ehrenwort gilt aber nichts mehr! Sie verstehen sich gut mit den Fremdarbeitern, höre ich! Sie sprechen Russisch!

Rudi Bockelmann: Ja, ich bin in Moskau geboren!

Brettschneider: Ach. Eine Kommunistensau sind Sie also auch noch! Tja, Herr Bürgermeister. Und da sind wir jetzt! Und Ihre Parteizugehörigkeit nützt Ihnen gar nichts mehr.

- - -

Mitgefangener: Sie machen Tiere aus uns.

Rudi Bockelmann: Warum sind Sie hier?

Mitgefangener: Ich hab' einen Mann versorgt, der einen Beinschuss hatte. Ich bin Arzt. Er war ein Deserteur. Sie haben mich zum Tode verurteilt.

- - -

Brettschneider: Na? Wie wär's denn heute mit der Wahrheit? Sie haben ohnehin nichts mehr zu verlieren. Ihre Frau wurde inzwischen in Lüneburg der zuständigen Gestapostelle vorgeführt.

Rudi Bockelmann: Meine Frau hat damit absolut nichts zu tun.

Brettschneider: Womit denn? - Ja... Sie hat Ihre Aussage bestätigt. Fast wortwörtlich! Als Nächstes wird man Ihre Söhne befragen. Zumindest den älteren. Weil der ist nämlich immerhin alt genug, dass man ihn zum Volkssturm einziehen kann!

Rudi Bockelmann: Es muss schlimm um Deutschland stehen, wenn Sie auf die Aussage eines Dreizehnjährigen angewiesen sind.

Brettschneider: Ihr Vater hat sich früher sehr eng mit Juden umgeben, oder etwa nicht?

Rudi Bockelmann: Soviel ich weiß, hat er als Bankier natürlich immer wieder mit Juden zusammengearbeitet, aber das liegt lange, lange zurück.

Brettschneider: Heinrich Bockelmann, geboren in Bremen am 28.5.1870. Ist das Ihr Vater? Seinen letzten Wohnsitz hatte er in Meran.

Rudi Bockelmann: Soweit ich weiß, wohnt er immer noch in Meran.

Brettschneider: Ach, offenbar sind Sie noch nicht informiert? Er ist vorgestern gestorben.

Rudi Bockelmann: Wie ist er gestorben?

Brettschneider: Bin ich ein Auskunftsbüro?

- - -

Rudi Bockelmann: Mein kleiner Sohn kann das Geräusch der Bomber auf dem Klavier nachmachen.

Mitgefangener: Du musst trinken.

Rudi Bockelmann: Ja.

Mitgefangener: Damenbesuch! Tanzmusik. Trink! Auf unseren Führer Adolf Hitler, der uns dieses wunderbare und einzigartige Leben ermöglicht. Volksgenossen! Heute ist der 20. April! Sein Geburtstag! Möge er uns immer bleiben, was er uns immer war und ist, unser Hitler! Prost.

Rudi Bockelmann: Und an diese Leute habe ich mal geglaubt.

Wachmann: Bockelmann, heraustreten!

Brettschneider: Grüß Gott, Herr Bürgermeister! Entschuldigen Sie das Chaos, aber ich bin versetzt worden! Aber Ihre, Ihren Fall wollte ich noch persönlich zum Abschluss bringen. Bitteschön, setzen Sie sich hin. Wir haben Ihren Fall penibel überprüft, Sie haben sich kooperativ gezeigt, und angesichts dieser, der aktuellen Lage haben wir beschlossen, dass wir nicht als Unmenschen dastehen wollen. Wir werden Sie entlassen! Ja, freuen Sie sich?

Rudi Bockelmann: Ja.

Brettschneider: Verstehe, verstehe. Sie werden in den nächsten Tagen selbstverständlich einen Einberufungsbefehl an die Front erhalten, aber vorerst werden Sie ja wohl nicht wehrtauglich sein, hahaha! Ja? Wie gesagt, wir sind ja keine Unmenschen. Vergessen Sie das nicht! Und bitte erinnern Sie sich daran, wenn Sie eines Tages danach gefragt werden!



Barendorf, Mai 1945


Frau: Hast Du was gehört?

Käthe Bockelmann: Ruhe jetzt! Das Wichtigste ist, dass wir Ruhe bewahren. - Die Soldaten da oben haben nur vor einem Angst, jetzt in den letzten Stunden des Krieges noch erschossen zu werden! Wir müssen aufpassen, uns ganz langsam bewegen, wir dürfen sie auf keinen Fall nervös machen!

Udo Jürgens: Ein Neger!

Soldat: Hands up! - Hey Boy, what's your name? Was heißt du?

Manfred Bockelmann: Mampie.

Udo Jürgens: Mampie!



Kärnten


- - -

16 Monate später

Rudi Bockelmann: Das ist wunderschön. Das kenne ich ja gar nicht?

Udo Jürgens: Das kannst Du auch nicht, das hab' ich ja gerade erst zuende gemacht!

Rudi Bockelmann: Dann hast Du das komponiert? Hast Du schon einen Namen dafür?

Udo Jürgens: Ich will es "Valse musette" nennen.

Rudi Bockelmann: Wie bei Chopin?

Udo Jürgens: Ich schenke es dir.



Luxemburg, 5. März 1966


Udo Jürgens: Stehen die Kontrolllautsprecher richtig, wegen meinem Ohr?

Hans Beierlein: Keine Sorge, stehen auf der richtigen Seite. Du wirst alles gut hören können.

Ansager: Für Österreich, Udo Jürgens!

Udo Jürgens: Merci, merci, merci für die Stunden, cherie, cherie, cherie, unsere Liebe war schön...

Wirt: Der Junge hat hier bei mir seinen großen Durchbruch gehabt, ich sag's Euch! Wenn ich's euch doch sage!

Udo Jürgens: Sei nicht traurig, muss ich auch von dir gehen. Adieu, adieu, adieu, deine Tränen tun weh, so weh, so weh, unser Traum fliegt dahin, dahin, merci cherie, weine nicht, auch das hat so seinen Sinn. Schau' nach vorn, nicht zurück, zwingen kann man kein Glück, denn kein Meer ist so wild wie die Liebe. Die Liebe allein, nur die kann so sein, so sein...

Hans Beierlein: Udo! Udo! Du hast gewonnen! Du hast gewonnen! Ha! Du hast gewonnen, Du hast doppelt soviele Punkte wie der Zweite, Du hast gewonnen, verstanden, hahahaha! Hunderte Millionen Menschen in ganz Europa haben Dich singen gesehen, ja, mit unserem Lied, Udo! Wir werden jetzt in dieses Theater gehen, und Du wirst der Sieger sein!

Udo Jürgens: Das glaube ich nicht.

Hans Beierlein: Ja!

Udo Jürgens: Das ist ja der Wahnsinn! Ich hab' gewonnen! Ich glaub's nicht!

Hans Beierlein: Doch! Du hast gewonnen, Udo. Wir müssen zurück. Doch vorher noch ein Wort. Bevor wir ab morgen die Welt aus den Angeln heben, ist es ganz wichtig, dass Du Dir dies merkst: Dies ist nur der Anfang, ja? Du hast heute hier gewonnen. Das kann unser Leben verändern. Das kann Dich groß machen. Aber merk' Dir eines: Wir haben nur einen Fuß in der Tür, mehr nicht. Das nächste Lied, die nächste Platte, der nächste Schritt, darauf kommt es an, ja? Gehen wir?

Udo Jürgens: Gehen wir.

Hans Beierlein: Auf in den Kampf, haha.

Udo Jürgens: Was ich Dir sagen will, fällt mir so schwer. Das Blatt Papier vor mir, bleibt weiß und leer. Ich find' die Worte nicht, doch glaube mir: Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier. Was ich dir sagen will, wenn wir uns sehen, ich kann nur stumm an Dir vorübergehen. Ich dreh' mich nach Dir um und denke mir, was ich Dir sagen will, sagt mein Klavier.

- - -

Menge: Udo, Udo!

Hans Beierlein: Bitte treten Sie zurück, Bitte, ich flehe Sie an! Bitte bitte, bitte seien Sie doch vernünftig! Ha! Das ist der Wahnsinn! Sowas habe ich noch nicht erlebt! Dabei haben alle immer gesagt, Abende mit nur einem Künstler funktionieren nicht in Deutschland! Sondern nur bunte Abende! Aber Du hast gerade Dein erstes Solokonzert gegeben und bitte, hör' dir das an! Ja Du, Du musst mal raus! Alles klar! Du musst dich nochmal zeigen!

Udo Jürgens: Ist das Dein Ernst? Ja wie willst Du denn in dem Chaos die Jungs nochmal zusammentrommeln, und in den nassen Sachen?

Hans Beierlein: Ja, Du gehst so wie Du bist. Im Bademantel. Ja, Du gibst noch eine Zugabe, das ist es, was man jetzt von dir erwartet.

Udo Jürgens: Im Bademantel.

Hans Beierlein: Im Bademantel.

Udo Jürgens: Ein Tag wie jeder, ich träum' von Liebe, doch eben nur ein Traum - aha, aha. Menschen wohin ich schau, Großstadtgetriebe, und auf einmal sah ich sie, sie. 17 Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir. 17 Jahr, blondes Haar, wie find' ich zu ihr. Und immer, immer wieder geht die Sonne auf, und wieder bringt ein Tag für uns sein Licht. Ja, immer immer wieder geht die Sonne auf, und Dunkelheit für immer gibt es nicht, die gibt es nicht, die gibt es nicht.

Hans Beierlein: Ja, gut gebrüllt, Löwe! Hahaha. Das mit dem Bademantel, das war phantastisch, das machst Du ab jetzt jeden Abend.

Udo Jürgens: Ach bitte, das wird doch lächerlich!

Hans Beierlein: Aber woher denn, das ist genial, glaube mir, es ist meine Aufgabe, solche Dinge zu erkennen!

Udo Jürgens: Ja sicher, ja sicher.

Hans Beierlein: Nein, jetzt nicht! Hergott, kann denn... - Da steht einer draußen, der behauptet, er sei Dein Onkel.

Udo Jürgens: Mein Onkel?

Hans Beierlein: Ja.

Udo Jürgens: Soll reinkommen.

Hans Beierlein: Ja.

Udo Jürgens: Onkel Erwin! - Ja, setz' dich doch.

Erwin Bockelmann: Danke, dass Du einen Moment Zeit hast.

Udo Jürgens: Wein?

Erwin Bockelmann: Nein, nein. Ein Glas Wasser wär' schön.

Udo Jürgens: Wenn Du gesagt hättest, dass Du kommst, dann hätte ich...

Erwin Bockelmann: Ich wollte nicht auffallen.

Udo Jürgens: Natürlich.

Erwin Bockelmann: Ja. Ich mach' das nicht so oft, aber ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich hatte ja keine Ahnung, was Du da wirklich machst.



Moskau 2010


Aljoscha Kasajev: Ich habe noch vergessen etwas, da war ein Brief unter die Figur.

Udo Jürgens: Ein Brief?

Aljoscha Kasajev: Ja, ja. Brief ist gelegen ganze Zeit unter Figur. Ich habe nicht geöffnet!

Udo Jürgens: Danke, Aljoscha, Danke.

Aljoscha Kasajev: Eine gute Reise!

Udo Jürgens: Alles Gute, alles Gute!

An meine Nachkommen! Solltet Ihr diesen Brief erhalten, bevor ich bei Euch bin, dann ist mir etwas zugestoßen. Aber ich bin mir sicher, ihr werdet verstehen, dass ich die Flucht versuchen musste. In einer Stunde, in der die mögliche Freiheit mir ebenso nahe ist wie das mögliche Ende, schreibe ich diese Zeilen in der Hoffnung, einen Teil von mir selbst fortleben zu lassen in den Gedanken und Gefühlen meiner Familie. Denn eine Familie ist wie ein Baum, im Erdreich verankert durch ein Geflecht von starken und schwachen Wurzeln, die sich in seinem Stamm vereinen und in den dem Himmel zugewandten, nach oben strebenden Ästen und Zweigen ihr Spiegelbild finden. Jeder ein Teil des Ganzen, aber nur gemeinsam das Wunderwerk, das Wind und Wetter und auch der Zeit trotzt.



Meran 1955


Nur wer die Stärken und die Schwächen des Ganzen kennt, wird kraftvoll in seiner Zeit stehen, unanstastbar wie die Eiche im Sturm, wie ich selbst es mir für mein Leben oft gewünscht habe, aber nicht immer war.

Page: Grüß Gott!

Fagottspieler [Dieter Schaad]: Grüß Gott!

Page: Darf ich Ihnen den Koffer abnehmen, der Herr?

Fagottspieler: Danke nein! Darin befindet sich das Kostbarste, dass ich besitze! - Ja, guten Tag. Ich hätte eine, ein Anliegen. Ich bin von England auf den Kontinent gekommen in Ihre schöne Stadt von London, ich besitze da ein Antiquitätengeschäft. Nein, nein nein, nein nein, ich, äh, ich suche einen Mann, der mir vor langer Zeit sehr geholfen hat. Sein Name ist Heinrich Bockelmann. Der hat mir ein neues Leben geschenkt. Der muss jetzt schon über 80 Jahre alt sein, vielleicht, ja vielleicht lebt er gar nicht mehr. - Vor zehn Jahren schon? Ja. Können Sie mir vielleicht sagen, auf welchem Friedhof er begraben wurde, hier oder... Ja. Danke. Danke für Ihre Hilfe!



Dipl.-Psych. Dorothea Maxin
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